Inspiriert von seinen Lehrern Georg Forster (1754–1794) und Carl Ludwig Willdenow (1765–1812) entwarf der 24-jährige Alexander von Humboldt 1794 in einem Brief an Friedrich Schiller ein pflanzengeographisches Forschungsprogramm, in dem er Natur- und Menschheitsgeschichte zu vereinen suchte. Das eindrücklichste Ergebnis dieser Forschungen ist das noch heute bekannte „Naturgemälde der Anden“, auf welchem Humboldt die natürliche Vegetation sowie Kulturpflanzen der amerikanischen Tropen in ihren jeweiligen Höhenzonen abbildet.

Weniger bekannt ist, dass Humboldt die im tropischen Amerika um 1800 gewonnenen Befunde in den folgenden Jahrzehnten zu einer globalen Pflanzengeographie erweitern wollte. Ein erster Band der Reihe „edition humboldt print“ des Akademienvorhabens „Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften widmet sich seinen unveröffentlichten Schriften zu diesem Thema: „Geographie der Pflanzen“, herausgegeben von Ulrich Päßler (J.B. Metzler / Springer Nature 2020).

Die in der vorliegenden Edition zum überwiegenden Teil erstmals veröffentlichten Handschriften zeigen Humboldt dabei nicht als Forschungsreisenden im Feld, sondern als Schreibtischgelehrten in Paris und Berlin. Hier sammelte Humboldt Daten aus aller Welt, um globale Verteilungsgesetze der Pflanzen zu ermitteln. Diese statistische Methode, der Humboldt die Bezeichnung „Botanische Arithmetik“ gab, öffnete den Blick für die komplexe Biodiversität der Erde und beeinflusste so auch die späteren evolutionsbiologischen Arbeiten Charles Darwins (1809–1882).

Die im Band versammelten Briefe, Vortragsmanuskripte und Notizen machen deutlich, wie sehr Humboldts wissenschaftliche Praxis auf den Austausch mit Kollegen, vor allem in Frankreich und Großbritannien, und die Mitarbeit von heute oft übersehenen Assistenten angewiesen war. Einer dieser Helfer war der aus Leipzig stammende Botaniker Carl Sigismund Kunth (1788–1850), der in Paris die amerikanische Pflanzensammlung Humboldts und dessen Reisebegleiters Aimé Bonpland (1773–1858) auswertete. Gemeinsam mit Kunth plante Humboldt 1825 eine umfassende Darstellung der Pflanzengeographie der gesamten Erde.

Dass das ehrgeizige Buchprojekt scheiterte – und so bis heute in Vergessenheit geriet – lag nicht nur an einer mit den Mitteln der Zeit nicht mehr zu bewältigenden Datenflut. Als wissenschaftlicher Schriftsteller strebte Humboldt eine kaum einzulösende Verbindung von Wissenschaft und Ästhetik an: Es galt, die Physiognomie der Gewächse und Landschaften der Erde anschaulich zu schildern und mit künstlerischen Mitteln darzustellen. Der junge Landschaftsmaler und Brasilienreisende Johann Moritz Rugendas (1802–1858) lieferte hierzu Vorlagen, die aber zu Lebzeiten Humboldts nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickten.

Die nun erstmals edierte Materialsammlung zu diesem nie erschienenen Werk Humboldts enthält seine Sicht auf die biologische Forschung in Europa und Amerika um 1825. Sie macht zudem eine spannende wissenschaftliche Papierarbeit sichtbar, in der die Autoren Humboldt und Kunth Ideen gemeinsam entwickelten und in Form von Zetteln und Heften hin und her wandern ließen.

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