Endlich hat der Bundesgerichtshof die Anforderungen an die Patientenverfügung konkretisiert. Aber nicht alle Unsicherheiten und Zweifel sind damit für Ärzte, Betreuer und Angehörige aus dem Weg geräumt.

Mittlerweile haben laut Deutschem Hospiz- und PalliativVerband e. V. (DHPV) in Berlin rund 43 Prozent der Deutschen eine Patientenverfügung – auch wenn bislang nicht festgelegt war, wie präzise diese zu formulieren ist. Für die Angehörigen bedeutet es eine große Last, wenn unklar ist, wie viel medizinische Behandlung eine pflegebedürftige Person gewollt hätte. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner Entscheidung vom 8. Februar 2017 die Anforderungen an eine Patientenverfügung daher konkretisiert.

Gemeinsame Entscheidung
Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts wurde die Patientenverfügung gesetzlich verankert. Liegt eine Verfügung vor, hat der behandelnde Arzt zu prüfen, welche ärztlichen Maßnahmen im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten aus medizinischer Sicht anzuwenden sind.

Der Arzt und der Betreuer haben diese Maßnahmen zu erörtern. Zu berücksichtigen ist der Wille des Patienten, der die Grundlage für die Entscheidung des Betreuers bildet. Nahe Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen des Betreuten bekommen Gelegenheit, sich zu äußern. „Treffen die festgelegten Punkte einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen festzustellen. Auf dieser Grundlage muss er entscheiden, ob er einer ärztlichen Maßnahme zustimmt oder sie untersagt“, erklärt Ecovis-Rechtsanwältin Daniela Groove in München.

Der entschiedene Sachverhalt
Die Patientenverfügung einer im Wachkoma liegenden Patientin sah vor, dass in bestimmten Behandlungssituationen, die nicht näher beschrieben waren, lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben sollten. Aktive Sterbehilfe wurde aber abgelehnt. Die Patientin im verhandelten Fall erlitt im Mai 2008 einen Schlaganfall und im Juni desselben Jahres einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Seit dieser Zeit befand sie sich im Wachkoma. Über eine Magensonde wurde sie künstlich ernährt. Zwischen dem Ehemann und dem Sohn der Patientin kam es zum Streit, ob die künstliche Ernährung fortgesetzt werden soll und die Fortsetzung dem Willen der Patientin entsprach. Sowohl das Amts- als auch das Landgericht hatten den Antrag des Sohnes auf Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung abgelehnt.

Die Entscheidungsgründe
Der BGH führte aus, dass eine Patientenverfügung nur dann unmittelbare Bindungswirkung entfalte, wenn konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Der Bestimmtheitsgrundsatz verlange aber auch – so der BGH –, dass die Patientenverfügung erkennen lässt, ob sie in einer konkreten Behandlungssituation gelten soll. „Es muss also klar sein, welche ärztliche Maßnahme durchgeführt oder unterbleiben soll, etwa durch Angabe zu Schmerz- und Symptombehandlung, künstlicher Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Wiederbelebung, künstlicher Beatmung, Antibiotikagabe oder Dialyse“, erläutert Ina von Bülow, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht bei Ecovis in München.

Allerdings dürfen die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung auch nicht überspannt werden. Es könne nur vorausgesetzt werden, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was er nicht will. Medizinische Fortschritte können nicht berücksichtigt werden. Auch könne der Patient seine Biografie nicht vorausahnen.

Demgegenüber enthalten allgemeine Anweisungen – beispielsweise die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist, oder keine lebenserhaltenden Maßnahmen einzusetzen – keine konkreten Handlungsentscheidungen. „Diese Äußerungen sind zu allgemein und daher nicht bindend“, sagt von Bülow.

Einzelfall genau prüfen
Im Zweifel ist die Patientenverfügung unter Berücksichtigung aller Umstände im Einzelfall auszulegen. Vom Betreuer wird dabei die These aufgestellt, wie sich der Betroffene selbst in der konkreten Situation entschieden hätte, könnte er noch über sich selbst bestimmen. Der mutmaßliche Wille ist mittels konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen. Im vorliegenden Fall hatte die Betroffene zwei künstlich ernährte Patienten in ihrem Umfeld gesehen und wiederholt geäußert, dass sie nicht so daliegen und künstlich ernährt werden wolle; lieber wolle sie sterben.

Der BGH hob die Entscheidung des Landgerichts auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung dorthin zurück. Der Argumentation, dass das Einstellen der künstlichen Ernährung als aktive Sterbehilfe zu werten sei und von der Patientin nicht gewünscht sei, konnte der BGH nicht folgen. Das Landgericht muss sich erneut mit der Frage befassen, ob sich aus der Patientenverfügung ergebe, dass die Patientin den Abbruch der künstlichen Ernährung wünsche.

Auswirkungen für die Praxis
Die aktuelle Entscheidung zeigt sehr deutlich, wie schwierig es für die Beteiligten (Betreuer, Bevollmächtigte und Ärzte) ist, den Patientenwillen zu ermitteln und umzusetzen. Bei der Auslegung des Patientenwillens gewinnt der Dialog zwischen Arzt und Pflegeteam einerseits und dem Betreuer oder Bevollmächtigten sowie den Angehörigen andererseits an Bedeutung. Im Zweifel ist dem Betreuer oder Bevollmächtigten zu raten, ein betreuungsgerichtliches Genehmigungsverfahren einzuleiten. Stellt das Betreuungsgericht fest, dass eine wirksame Patientenverfügung vorliegt, die auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, wird es ein Negativattest erteilen. Hieraus ergibt sich, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich ist.

Checkliste
Prüfen Sie die Patientenverfügung anhand folgender Fragen und ziehen Sie in Zweifelsfällen Ihren persönlichen Berater hinzu:
• Sind die schriftlich festgelegten ärztlichen Maßnahmen und die Behandlungssituation hinreichend bestimmt?
• Trifft die Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu? Entsprechen die Entscheidungen oder Handlungsanweisungen noch dem aktuellen Willen des Betroffenen?
• Haben sich die Lebensumstände des Betroffenen geändert, sodass von den beschriebenen Maßnahmen nicht mehr ausgegangen werden kann?

Daniela Groove, Rechtsanwältin bei Ecovis in München
Ina von Bülow , Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht bei Ecovis in München

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