Gleich das erste Angebot dieses Newsletters, der wieder fünf Deals der Woche vorstellt, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de jeweils eine Woche lang (Freitag, 15.03.19 – Freitag, 22.03.19) zum Sonderpreis zu haben sind, ist ein Sahnehäubchen. Präsentiert wird eine Art Best der Of der Salongespräche des wahrscheinlich berühmtesten Berliner Frisörs Kleinekorte, die C.U. Wiesner in drei Jahrzehnten aufgeschrieben hatte. Da bleibt nur noch eines: Platz nehmen und zuhören beziehungsweise nachlesen. Selber zu Wort kommen dürfte man bei diesem Meister des schnellen Wortes ohnehin nicht …

Mehr als ein Dutzend kriminelle Geschichten erzählt Klaus Möckel in „Der undankbare Herr Kerbel“.

Georg Friedrich Händel. Ein Sachse unter Angelsachsen“ – unter diesem Titel haben Waldtraut Lewin und Miriam Margraf eine sehr lesenswerte Biografie des berühmten Komponisten vorgelegt.

Und wer gern alle Abenteuer der schönen Zeitreisenden von Hardy Manthey kennenlernen will, dem sei das Gesamtwerk unter dem neugierig machenden Titel „Ein Leben zwischen Tod und Unsterblichkeit“ empfohlen.

Außerdem bringt dieser Newsletter noch ein fünftes Angebot zu einem Super-Sonderpreis – allerdings wie gewohnt erst am Ende dieser Ausgabe. Und damit zurück zu Meister Kleinkorte, seinem Salon und seinen die Zeiten überdauernden Frisör-Weisheiten.

Erstmals 1994 erschien bei der Eulenspiegel – Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft der Band „Frisör Kleinekorte – Salongespräche aus drei Jahrzehnten“ von C. U. Wiesner: „Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt?“ Mit diesen Worten begrüßt ein bekannter Berliner Frisör gewöhnlich fast jeden seiner Stammkunden. Dreißig Jahre lang hatte er in der Zeitschrift Eulenspiegel und im gleichnamigen Buchverlag über das Leben in jenem seltsamen Land philosophiert, das sich über Geborgenheit, aber auch über Sicherheit definierte. Was seinen Bewohnern noch jahrzehntelang als Makel angehängt werden sollte. Im Jahre 1990 wurde der Eulenspiegel Verlag durch jenes Institut liquidiert, das man irreführend Treuhand nannte. Bald darauf gab es einen neuen Verlag gleichen Namens. Der brachte im Jahre 1994 so etwas wie Best Of Kleinekorte heraus, das war eine Auswahl aus den vorangegangenen vier Büchern, dazu einige Texte, die nach dem Mauerfall im Eulenspiegel erschienen waren. Dies war der Endpunkt einer Erfolgsgeschichte: Eine Gesamtauflage von einer halben Million Bücher. Eine Theaterfassung: Kleinekortes Große Zeiten, die 1969 unter der Mitregie des Autors am Volkstheater Rostock uraufgeführt wurde, dort viele Jahre an mehreren Spielstätten erfolgreich lief und an etlichen Theatern – außer in Berlin – nachgespielt wurde. Eine Fernsehfassung am Studio Rostock 1970. Natürlich ließ ich es mir nicht nehmen, selber in die Rolle des Willem Kleinekorte zu schlüpfen. In manchen Jahren waren es mehr als siebzig Auftritte im Rundfunk, auf Kabarettbühnen und auf gut besuchten öffentlichen Lesungen. Beinahe wäre es auch noch zu einem DEFA-Film gekommen. Der Erzkomödiant Rolf Ludwig lag schon auf der Lauer. Leider war ich an den falschen Dramaturgen und den falschen Regisseur geraten. Trotzdem bin ich, inzwischen selber ein Methusalem, noch immer ein bisschen stolz auf mein literarisches Geschöpf, den Frisör Kleinekorte, den das Brandenburg-Berlinische Wörterbuch in eine Reihe mit den Figuren von Glassbrenner und Tucholsky gestellt hat. Das schrieb natürlich C.U. Wiesner höchstpersönlich. Und hier ein zur Jahreszeit passendes Salongespräch:

Frisör Kleinekorte in Frühjahrsnöten

Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt? Sehnse, dis sind so die unruhigen Frühjahrsnächte, wo sojar in einen ollen Weltstadtmenschen wie mir so gegen Mitternacht die Lindendüfte erwachen, wie der rasende Uhland dis so schön ausdrückt. Irjendwo knackt es in die ollen Knochen, und denn denkense, gleich lasst der Frühling sein blaues Band übern Balkong ins Schlafzimmer reinflattern. Aber Kuchen! Jrade wenn Se sich so die Hallo-Nationen an die Lenznächte von damals hinjeben wollen, denn krächzt Muttern unter ihre Bettdecke: Willem, wiste woll det Fenster zumachen! Morjen kannste vor Hexenschuss wieder nicht krauchen! Na, denn stehnse ebent auf und knallen den Laden wieder ran. Is man auch besser so, denn draußen jrölen nu auch schon die letzten Besoffenen ausm Blauen Affen. Und nu dröhmle ick so vor mir hin und frage janz leise: Weißte noch, Frieda, wie wir damals auf die kleine Bank in Friedrichshain und so? Aber Muttern schnarcht wie ein Sägewerk, und nun findense schon aus augustischen Gründen keinen Schlaf mehr. Und dis is ebent der Frühling von Berlin – hörnse mir doch auf!

Früher sind wenigstens noch die kleinen Zugvögel über die Hauptstadt jen Norden jemacht und haben hoch in die blaue Luft ihre possierlichen Liebesspiele jetrieben. Jott, die kleinen Vöjel! Heute traunse sich nicht mehr, weil sie der Fernsehturm im Wege steht. Und dis verbindet mir mit die ollen Piepmätze: Manchmal stört uns ebent der janze neumodische Kram in unsere liebe alte Jewohnheiten. Nehmse mal den Kopp ’n bißken runter! Ick bin bestimmt in meinen Herzen jung jeblieben, bloß die Beine wollen nicht mehr so. Aber die heutige Jugend hat doch so jar kein Jefühl mehr für die innerlichen Werte. Seh ick am besten an mein Enkelsohn, wo seitm vorigten Herbst hier in Berlin Schemie studiert. Nicht, deß ick den Jungen ’n Vorwurf draus mache. Die Entwicklung lasst sich ja nicht mehr aufhalten. Zuerst ernährnse bloß dis Hühnervolk schemisch, aber sone Broiler dürf Muttern jar nicht kaufen. Und als nächstes kommt denn die übrige Bevölkerung ran, künstliche Butter und schemische Kartoffeln. Passense auf, was ick Ihnen sage, und eines Tages knabbert die Menschheit villeicht noch Bongbongs aus Kupferwittrijol, aber dis werd ick Jott sei Dank nicht mehr erleben. Und wenn der Bengel bei uns kommt, denn lasst er sich immer noch Mutterns Nappkuchen ala neunzehnhundert schmecken.

Ick hab ja sooft davon jeträumt, wie ick als oller Mann mein Enkel anne Hand nehme und ihm mein liebes altes Berlin erkläre. Vorigten Sonntag war es nu so weit. Ick mein Jürjen jenommen und losjeschoben – wir beiden Männer. Ick war ja schon ewig nicht an Alex, aber ick hätt bald bütterlich losjeheult, wie ick dis jesehn hab. Da redense immer so ville vons kulturelle Erbteil, und was machense? Sie verbubanzen einen die letzten Stätten der Erinnerung. Mein Enkelsohn wusste natürlich jenau Bescheid: Hier kommt dis neue Hotel her und da dis neue Kaufhaus. Ick hab mir kaum noch konnten orientieren, und dabei hab ick mir damals an jede Ecke zurechtjefunden, dreist, wenn ick noch so stockbesoffen war. Hinten ’n bißken kürzer, weils Frühling wird?

Nachher ham wir unser Bierchen janz oben ins Haus des Lehrers jepichelt. Son Unsinn, früher ham die Pauker jenug inne Schule zu tun jehabt, statt in son vornehmes Etablissemang rumzuländern. Und heute wissen die Schulkinder nicht mal mehr, wann Kaiser Rotbart den Prinzen Eujehn besiegt hat. Tschuldigense die Abschweifung, aber bei Erziehungsfragen stoßt mir immer die Jalle auf. Nu sitzense da mit son Kind von die jüngere Schenneratzjon mitten über die Dächer von Berlin, und was sehnse? Lauter Kräne und Baugruben, weil der Staat ebent immer dis Unterste zuoberst kehrt und umjekehrt. Und wie ick mir den Jungen, was nu mein eigen Fleisch und Blut is, so mit ein jewisses Jefühl der Rührung betrachte, frag ick mir: Was hat er nu von seine Jugend? Schemie und Negerjatz und ’n Haufen pullitische Versammlungen. Wie ich in dis Alter war, da ließ man sich als junger Spund erst mal den Wind um die Nase wehn.

Siehste, sag ick, hier, wo jetz dis tiefe Loch hinter den Kran is, da war früher dis berühmte Kaffe; wie es richtig hieß, weiß ick nicht mehr, aber bei uns hieß es bloß Kaffe Röckchenhoch. Da sindse reinjejangen – mir nanntense ja damals mit mein Strohhut bloß den Baron vom Friedrichshain, und sowie ick aufkreuzte, spielte der Klavierspieler schon: Du hast ja keine Ahnung vom Herzen einer Frau. Herz is jut, wa? Denn wurde anständig einer jefiffen. Und nachher machte Narbenpaule – so hieß der Wirt -, machte der also wie jesagt vorne dichte, und denn jingen die Stammjäste in die schummrigen Hinterstübchen. Wattense ma, ick mach bloß die Türe zu, denn so schwerhörig, wie se immer tut, is Muttern jar nicht. Also Pferdchen hatte Narbenpaule zu laufen … Junge, sag ick, da hätteste abjeschnallt und erst mal jemerkt, wie porfan und mickrig eure Meechens heute sind. Der Jürgen hat aber bloß doof vor sich hin jegrient, denn sone Kinder kriegen ja auf ihre Universität alles einjetrichtert, nur keine Fantasie. Also versteh mir recht, Junge, sag ick, nicht deß Opa ein oller Schweinigel war, aber dis war damals ebent so. Wenn man denn in den Stand der heiligen Ehe reintrat, denn war dis vorher wie mit ein Serum: Man war jeümpft und sozusagen gejen die Anfechtungen des Fleisches immun wie’n Reichstagsabjeordneter. Nicht wahr, Düfterie kriegt man ja auch bloß einmal?

Gejenüber von Kaffee Röckchenhoch war dis Stammlokal von den Sparverein Waldeslust. Dis waren natürlich richtigjehende Ganoven, aber noch solche mit ’n joldenes Herze, und mancheiner ließ sich bei mir die Haare schneiden. Und in die ihre Kneipe hat sojar die Polente mal jerne einen jeschnasselt. Dis war ebent in die jute alte Zeit alles nicht so säuberlich jetrennt wie heute, und die Jrünen kriegten manchen juten Tipp von die Ringvereinsbrüder und waren denn ihrerseits auch nicht kleinlich. Tschuldigense, ick jeh gleich mit ’n Blutstiller rüber! Dis sind alles Dinge, die die Jugend nicht mehr kennenlernt, und dabei jehörte so was einfach zu den pulsierenden Atem von einer Weltstadt. Schlagense doch mal heute die Lokalnachrichten auf. Was lesense? Hausjemeinschaft und Wettbewerb und sauberes Berlin. Keine Saalschlacht mehr, wos einen beim Lesen so eiskalt den Puckel runterrennt, keine Puffs mehr, und dabei war dis janz hügünisch, und nicht einen einzigen Janoven mehr von Rang und Namen, bloß irgend son popliger Bürger mit zwei Anfangsbuchstaben, wo im Selbstbedienungsladen jeklaut hat. Junge, sag ick zu mein Enkel, da unten in die Baujruben beerdigense Opan sein liebes altes Berlin, wie es weint und lacht, und die letzten süßen Jeheimnisse von Kaffee Röckchenhoch nehm ick eines Tages mit ins Jrab. Tagsüber hamse bei Wertheim Schlipse verkauft, die Meechens, und weil der Zaster nicht reichte, sindse … na, is ja auch egal, aber schön wars doch.

Aber Taktjefühl hat unserer Jugend nicht fürn Sechser. Wie ich noch so vor mir hin stimuliere, erzählt mir der Bengel, desse diesmal vonne Effdejott aus anne Ostsee zelten wollen, Jungs und Meechens, alle durcheinander. Hamse dafür noch Töne! Von unser Jeld studieren und denn womöglich noch Nacktkultur treiben wie die Wilden aufs Bismarckarchepipel, wie wir noch unsere Kolonien hatten. Und dis soll nu die höhere Moral sind! Wissen Sie villeicht, ob sich die jungen Menschen nicht dis Schönste von die Ehe schon vornewechnehmen? Aber die wollen ja von uns reifere ältere Menschen partuh keine Lehre annehmen. Macht zweifuffzig.“

Erstmals 1987 veröffentlichte Klaus Möckel im Verlag Das Neue Leben Berlin „Der undankbare Herr Kerbel und andere kriminelle Geschichten“: Zunächst finden sich Eddi und Heinzjörg beim Saufen, dann finden sie Herrn Kerbel, dem die Frau davongelaufen ist. Herr Kerbel hätte nichts dagegen, dem Liebhaber seiner Angetrauten eine Abreibung zu verpassen, und die beiden unterstützen ihn lebhaft. Doch in Wirklichkeit sieht besonders Eddi darin die Möglichkeit, eigene, wenig löbliche Interessen durchzusetzen. Obgleich gerade ihm aufgefallen ist, dass der enttäuschte Ehemann etwas Undankbares im Blick hat, drängt er ihn zu einem Rachefeldzug. Fünfzehn schwarzhumorige Geschichten sind in diesem Band vereint; sie handeln nicht nur von Dieben, Hochstaplern, Heiratsschwindlern oder verhinderten Mördern, sondern auch von sonstigen Fieslingen und Großsprechern, die Übles anrichten, ohne dass sie dafür gesetzlich belangt werden könnten. Mitunter wird das Opfer zum Täter, mitunter die Tat zur Befreiung. Heiterkeit und Ernst stecken in diesen Erzählungen, die über die Jahre hin nichts von ihrem Witz und ihrer Griffigkeit verloren haben. Greifen wir den Anfang einer dieser fünfzehn kriminellen Geschichten heraus und verfolgen wir …

Die Verfolgung

Silvia Pratt bemerkte den Fremden zum ersten Mal in der Kosmetikabteilung. Sie stand links neben der Kasse und hielt ein Parfumfläschchen in der Hand, als ihr Blick in den Spiegel fiel. Zunächst sah sie darin nur die Waren in den Regalen hinter ihr: Cremebüchsen, Spraydosen und alle möglichen Schächtelchen, vom Neonlicht mit bläulichem Glanz umhüllt. Sie liebte diese Atmosphäre, diesen Duft von Mandelmilch und Kölnischwasser im Widerschein der Lampen, der durch die verschiedenartig geformten und geschliffenen Flakons etwas Glitzernd-Verführerisches bekam. Sie liebte auch die Geräusche ringsum, die sie umflossen, berührten, ohne wirklich in sie einzudringen, Füßescharren, murmelnde Stimmen der Kunden und Lautsprecheransagen. Silvia ging gern ins Warenhaus, und sie war gern in der Kosmetikabteilung. Sie brauchte nichts zu kaufen, es genügte, dass sie sich umschaute, den einen oder anderen Gegenstand in die Hand nahm, um sich wohl zu fühlen.

Auch heute hätte es so sein können, sie hatte sogar gehofft, dass es so wäre, denn der Tag im Betrieb war anstrengend gewesen, und sie brauchte Ablenkung. Vor allem wegen des Schuldgefühls, das sie noch immer plagte, wenn sie es sich auch nicht eingestehen wollte. Es betraf die Frau, der sie zu einem gehörigen Überpreis die alte Nähmaschine verkauft hatte. Was hab ich schon getan, dachte Silvia gereizt, jeder macht das so. Jeder sieht zu, wo er bleibt. Doch damit war die .Angelegenheit nicht bereinigt. Ihr Gewissen murrte. Die Frau gehörte keineswegs zu den Leuten, die mit Zwanzigmarkscheinen um sich werfen konnten, das sah und merkte man ihr an. Sie brauchte die Maschine, musste das Geld dafür aber zusammenkratzen. Dennoch hatte sie – von einem ersten kläglich anmutenden Versuch abgesehen – nichts von der Summe abgehandelt. Sie besaß ihren Stolz. Doch sie hatte in zwei Raten bezahlt. Und Silvia, ihren Gewinn fest vor Augen, war hart geblieben. Erst heute Morgen hatte sie die letzten zwei Hunderter erhalten, und die brannten in ihrer Tasche. Sie fand es seihst lächerlich, konnte ihre Unruhe aber nicht abschütteln. Dumme Sentimentalität. Und nun noch der Fremde im Spiegel. Er tauchte neben einem der hinteren Regale auf und blickte her zu ihr. Verstohlen, aber hartnäckig, seine Augen folgten ihr, als sie den Standort wechselte.

Einen Augenblick lang hielt Silvia den Mann für einen Verehrer, einen jener schüchternen Einzelgänger, die sich auf der Straße oder im Kaufhaus ein weibliches Wesen aus der Menge herauspicken und es mit Blicken verfolgen, ohne je den Versuch zu wagen, einen Kontakt herzustellen. Oder es war ein Draufgänger, der sie kühl taxierte, dabei überlegend, ob sich eine Attacke lohne. Sie fühlte sich fast geschmeichelt bei diesem Gedanken, denn sie war nicht mehr ganz jung und nicht sonderlich attraktiv, die meisten Männer schauten über sie hinweg. Deshalb bezweifelte sie auch, dass der Fremde solche Gründe hatte. Sein Blick war anders, wenngleich sie nicht erklären konnte, wie.

Soll er sein, wer er will, sagte sich Silvia, ich werde mich verhalten, als existiere er nicht. Sie stellte das Fläschchen auf den Glastisch zurück, schlenderte an der Kasse vorbei und verließ die Abteilung. Sofort geriet sie in einen Menschenstrom, der zu den Ständen mit preiswerten Pullovern und Blusen drängte. Es gab ein Sonderangebot, jugoslawische Ware, Blusen mit großen bunten Blumen auf Rücken und Brust. Silvia, die das Geld in der Handtasche wusste, suchte nach der passenden Größe. Aber sie war ein bisschen korpulent und das da für sehr schlanke Damen gedacht. Vergeblich kehrte sie auf dem Wühltisch das Unterste nach oben. „Für Sie wird sich hier leider nichts finden“, sagte bedauernd die Verkäuferin.

Silvia glaubte Ironie aus ihren Worten herauszuhören, nickte aber trotzdem. Irgendwie war es beruhigend, das Geld unangetastet zu lassen. Obwohl ihr ja zumindest ein Teil davon ohne moralischen Abstrich zustand. Sie blickte auf und zuckte zusammen. Ihr genau gegenüber, nur etwa vier Meter entfernt, hinter dem Tisch, hinter der Verkäuferin auch und einem weiteren Tisch, um den sich nur wenige Frauen scharten, stand der Mann von vorhin, musterte sie. Für Sekunden begegneten sich ihre Blicke, dann schaute sie schnell weg. Er hatte gelächelt, doch davon ließ sie sich nicht täuschen. Dass er jetzt langsam zielstrebig um das Tischgeviert auf sie zukam, erschreckte sie.

Sie hätte stehen bleiben und ihn erwarten können – sie brachte es nicht fertig. Nein, das war kein Verehrer, in seinem Lächeln hatte etwas Abschätziges gelegen, eine verhüllte Feindseligkeit. Oder hatte sie das nur so empfunden. Während sie von dem Stand mit den Blusen zurücktrat, sich zwischen zwei älteren Frauen hindurchwand und schnell auf eine Rolltreppe zustrebte, versuchte sie sich umzuschauen. Er war durch eine Gruppe Jugendlicher abgedrängt worden und ein Stück zurückgeblieben. Aber er kam hinter ihr her, sie sah, dass er sich beeilte. Er rempelte sogar ein Mädchen zur Seite, das sich ihm ungewollt in den Weg schob. Er war ungehobelt und ziemlich kräftig, vielleicht vierzig Jahre alt und hatte einen dunkelbraunen, leicht abgetragenen Mantel an. Von der Rolltreppe aus, die Silvia in gleichmäßigem Tempo ins erste Geschoss trug, konnte sie ihn genauer beobachten. Um ihr weiter zu folgen, musste er dasselbe Transportmittel benutzen. Doch nun kam er nicht mehr schneller voran als sie: Die Leute zwischen ihnen standen dicht an dicht.“

Nur drei Jahre zuvor, 1984, hatten Waldtraut Lewin und Miriam Margraf ebenfalls im Verlag Neues Berlin die Biografie „Georg Friedrich Händel. Ein Sachse unter Angelsachsen“ vorgelegt: Am Leben Georg Friedrich Händels fasziniert vor allem die Kraft, mit der der Komponist gerade in Zeiten schwerster Niederlagen und Konflikte Musik komponiert, in der sich spielerische Leichtigkeit mit tiefem Ernst verbindet. Hervorgegangen aus der sächsisch-thüringischen Kulturtradition, der er, wie Luther, Schütz oder Bach, entscheidende Impulse verdankt, verlässt er bald die kleinstaatliche Enge Deutschlands. Es zieht ihn nach Italien, dem Land der Oper und der Hirtenmusik. Hier, unter der südlichen Sonne, verlebt er anregende und unbeschwerte Jahre, feiert „il caro Sassone“, der liebe Sachse, seine ersten Triumphe. Als er gelernt hat, was es in Italien zu lernen gibt, geht er nach England. Die seit Purcells Tod abgebrochene musikalische Entwicklung im fortgeschrittensten Land jener Zeit ist seine große Chance. Anfangs wird er auch hier umjubelt. Es gelingt Händel, die besten Interpreten zu engagieren, und es entsteht Oper auf Oper. Doch bald gerät er in die politischen Auseinandersetzungen zwischen Whigs und Tories. Er führt seine Opern vor fast leerem Hause auf, die Sänger verlassen ihn, schließlich ist sein Theater endgültig bankrott. Aber Händel – weit entfernt davon aufzugeben – komponiert seine Oratorien. Das Besondere der vorliegenden Biografie ist die Darstellung des Menschen Händel: des zornigen, feinfühligen, sinnlichen, kraftstrotzenden Komponisten, dessen weltoffene Musik durch psychologische Charakterisierungskunst, Heiterkeit, Vernunft und Würde gekennzeichnet ist. Hier ein Einblick in diese spannende Lebensbeschreibung, die an dieser Lebensstation zugleich noch mit einem anderen äußerst vielseitigen Künstler bekanntmacht, mit dem er zeitlebens befreundet blieb, sich einmal aber sogar duellierte:

Matthesons Schule

1703 kam der junge Georg Friedrich mit seinem „Koffer voll Kantaten“ in die lebensvolle Handelsstadt und machte dort die Bekanntschaft von Johann Mattheson, dem späteren „Lessing der Musik“, der nur vier Jahre älter war als Händel. Der reiche Bürgersohn war ein vielseitig begabtes Unikum. Er sprach ein halbes Dutzend Sprachen, hatte Jura studiert, beherrschte diverse Instrumente, sang an der Oper als erster Tenorist in seinen selbst komponierten Opern, zu denen er meist auch die Libretti schrieb, und zwar auf eine solche Weise, dass er die Hauptperson, die natürlich er darstellte, schon nach der ersten Hälfte „umbringen“ ließ, um die Aufführung auch noch vom Cembalo her zu Ende zu leiten.

Seine bedeutendsten Verdienste bestehen in seinen musiktheoretischen und kritischen Schriften, die zum Teil noch heute Gültigkeit besitzen und uns einen hervorragenden Einblick in den Problemstand der damaligen Musikszene und detailreiche Kenntnisse über Musiker und Musizierweisen vermitteln („Der vollkommene Kapellmeister“). Dass er, bei seinem Geltungsbedürfnis, höchst subjektiv gefärbte Kritiken abfasste, die mit beißendem Spott den Betroffenen lächerlich machten, ließ ihn zu einem gefürchteten Kunstrichter werden.

Für Händel konnte es in Hamburg zunächst keinen besseren Gesellschafter geben als den überall hoch geachteten jungen Mann. Er führte den Sohn des halleschen Chirurgen in das Haus seines Vaters ein und verschaffte ihm Zutritt zum englischen Gesandten, er machte ihn mit Keiser bekannt, besorgte ihm Musikstudenten in reichen Häusern und nahm ihn in Opern und Konzerte mit.

Georg Friedrich schloss sich rasch an. Offenbar war es ihm ein Bedürfnis, über musikalische Probleme zu diskutieren, seine eigenen Arbeiten mit Freunden zu besprechen, kritische Hinweise aufzunehmen, ohne sich dabei etwas zu vergeben. Wir finden ihn immer wieder in freundschaftlicher Geselligkeit mit anderen ihm verwandten Geistern – freilich mussten es Leute sein, mit denen ein Austausch lohnte. Mattheson erkannte recht bald die schwachen Seiten des Komponisten Händel: Der Hallenser war ein perfekter Techniker, seine melodischen Einfälle jedoch waren oft blass – was man kaum zu glauben vermag, wenn man an den melodischen Reichtum seiner späteren Werke denkt. Mattheson half ihm auf die Sprünge. Ein bisschen gehässig hört es sich ja an, was er in seiner „Critica musica“ im Jahr 1722 im Nachhinein mitteilt: „Wie ein gewisser Weltberühmter Mann zum ersten mahl hier in Hamburg kam, wüste er fast nichts, als lauter regelmäßige Fugen zu machen, und waren ihm die Imitationes so neu, als eine fremde Sprache, wurde ihm auch ebenso sauer. Mir ist es am besten bewust, wie er seine allererste Opera Scenenweis zu mir brachte, und alle Abend meine Gedanken darüber vernehmen wollte …“ Nun ja, man hat es eben schwer, wenn man späterhin im Schatten steht.

Im Juni 1703 unternahmen die beiden jungen Freunde gemeinsam eine Reise nach Lübeck, um den Organisten Buxtehude zu hören, der als Meister seines Fachs ehrfürchtige Bewunderung genoss. Es zählte zu seinen Gepflogenheiten, sogenannte Abendmusiken aufzuführen. Konzerte, die er um die Weihnachtszeit vor bürgerlichem Publikum gab. Zu diesem Zweck komponierte er eine Fülle von Kantaten, die uns erhalten geblieben sind. Durch ihre eingängigen Melodien und die schlichte Harmonik erschließen sie sich dem Hörer schnell. Noch heute steht Buxtehudes Schaffen in Ansehen. Er war eines der großen Vorbilder Johann Sebastian Bachs, der im Jahre 1705 ebenfalls nach Lübeck pilgerte – was ihn beinahe seine Arnstädter Kapellmeisterstelle kostete, denn er hatte zu diesem Zweck seinen Urlaub um vier Monate überschritten.

So lange blieben Händel und Mattheson nicht. Immerhin müssen die beiden lebenslustigen jungen Leute über das Musikalische hinaus viel Gewinn aus der unbeschwerten Reise gezogen haben. Sicher bewunderte Händel die herrliche Orgel des Altmeisters und nahm sich sein Teil vom Spiel des großen Organisten, der im Alter war, sich nach einem Nachfolger umzusehen. Was aber weder Händel noch Mattheson noch Bach zu nehmen gewillt waren, war die ältliche Tochter des großen Mannes, die, der Sitte gemäß, gemeinsam mit der Stelle zu übernehmen war.

Nach der Rückkehr wurde Georg Friedrich zweiter Geiger an der Hamburger Oper. So schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe: Er besserte seine Finanzen auf und hatte in aller Ruhe Gelegenheit, sowohl Keisers Kompositionsstil als auch das ganze Theaterwesen zu studieren. Zudem kam eine solche Stelle seinem Hang zu Schabernack und Mystifikation entgegen. Es machte ihm Spaß, die Leute an der Nase herumzuführen und sich unter Wert zu verkaufen. Mattheson schreibt, er habe sich gestellt, „als ob er nicht auf fünfe zählen könnte“.

Die Wahrheit kam ans Licht, als sich der junge Geiger plötzlich erbot, den während der Vorstellung erkrankten Cembalisten zu vertreten. Aus reiner Verzweiflung nahm man das Angebot an, es musste ja weitergehen. Zutrauen hatte man nicht. Die allgemeine Verblüffung, die sein perfektes Akkompagnement und die Kunststückchen, die er sich einfallen ließ, auslösten, muss ihm ein rechtes Ergötzen gewesen sein. Sein Hang, sich „zu erkennen zu geben“, war wohl auch nicht frei von Schadenfreude.“

Zwischen 2011 und 2017 erschien als Eigenproduktion der EDITION digital eine Reihe von Zeitreisen von Hardy Manthey, die unter dem Titel „Ein Leben zwischen Tod und Unsterblichkeit“ inzwischen auch als Gesamtwerk aller 16 Teile in einem E-Book vorliegen: Eine junge, auffallend schöne Frau reist durch Raum und Zeit. Die Schwedin Maria Lindström, die in München erfolgreich Medizin studiert hat, verliebt sich und erlebt die Abenteuer ihres Lebens. Ein Flug zum Pluto endet in einer Katastrophe. Sie ist die einzige Überlebende und stürzt aus dem 22. Jahrhundert in die Antike, um 150 vor unserer Zeit. Im Karthago vor dem 3. Punischen Krieg muss sie, nunmehr eine Sklavin, in einem Freudenhaus arbeiten, bis sie eine reiche und mächtige Frau, schließlich eine Priesterin, in Sizilien wird. Vor dem Tod bei einem Sklavenaufstand flieht sie in eine parallele Welt auf den Planet der Frauen. Weitere Zeitreisen führen Sie zu den Unsterblichen im 4. Jahrtausend, in den Harem eines ägyptischen Pharaos, in die Wiege der Menschheit in der Urzeit, in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, zu den Maya im 9. Jahrhundert, … Immer wieder spürt Maria oder Aphrodite, wie sie sich meist nennt, die Unterdrückung der Frau und gerät in sehr gefährliche Situationen, in denen sie ihr Leben nur mit großer List oder mit Hilfe der Herren der Zeit retten kann. Ihre geistige Überlegenheit und ihre Medizinkenntnisse schaden ihr in den vergangenen Zeiten mehr, als dass sie ihr helfen. Wie es zu diesen Büchern gekommen ist, dazu schreibt der Autor Hardy Manthey in einem ausführlichen Vorwort:

„Bevor ich dem geneigten Leser meinen Roman zumute, bedarf es wohl einiger klärender Worte zur Entstehung dieses spannenden Titels über die Zeitreisende. Denn der Anlass meines Buches ist nicht weniger abenteuerlich als die Geschichte, die ich Ihnen in meinem Roman erzählen werde.

Alles begann mit jenem denkwürdigen Tage im Jahre 2004 direkt an der Cheopspyramide. Ich war bis zu diesem Zeitpunkt ein hoffentlich normaler Mann, der gerne spannende Romane las und sich brennend für Geschichte interessierte. Meine Vorliebe für die Vergangenheit hat mir nicht nur eine kleine Bibliothek beschert, sondern mich auch auf meinen zahlreichen Reisen an viele geschichtsträchtige Orte geführt. Bei allem Interesse für Geschichte und ihre oft dramatischen Ereignisse suchte ich, alles aus dem rationalen wissenschaftlichen Standpunkt zu betrachten und mir auch so zu erklären. Selbst die Religionen und Mythen des Altertums hatten nur wissenschaftlich betrachtet einen Platz in meiner Gedankenwelt. Die Idee, selbst Geschichten oder gar Romane zu schreiben, kam mir dabei nie. Lieber telefonierte ich, statt mühselig lange Briefe zu verfassen. Das alles stimmte bis zu diesem denkwürdigen Tag im September des Jahres 2004 auch.

Nun also stand ich mit meiner Frau an diesem frühen Morgen vor der Cheopspyramide und war wie schon beim ersten Besuch von diesem Bauwerk ergriffen. Ich berührte einen dieser Quader und spürte ein Kribbeln in den Händen, gerade so, als seien sie eingeschlafen. Nun weiß ich nicht, ob das überhaupt hierher gehört. Das können Sie hinterher für sich selbst entscheiden. Ich schüttelte meine Hände, das Kribbeln ließ langsam nach und ich konnte meinen Spaziergang um die Pyramiden fortsetzen. Doch jetzt meldete sich in mir ganz aus der Tiefe eine weibliche Stimme, die mir sagte, dass ich von nun an einen Auftrag zu erfüllen hätte. Ich konterte, ja, wir Menschen müssen doch immer einen Auftrag erfüllen, und ignorierte einfach die immer schwächer werdende Stimme.

Die Fahrt zurück zu unserem Hotel in Hurgada dauerte über sieben Stunden. Ich verfiel in eine Art Halbschlaf. Plötzlich tauchte vor mir eine wunderschöne Frau auf und plauderte munter drauf los. Sie brauche mich, behauptete sie kühn. Ich hätte den Auftrag, ihre Abenteuer niederzuschreiben. Sie duldete keinen Widerspruch und begann sofort, mir ihre Geschichte zu erzählen. Eine Vollbremsung holte mich zurück in die Realität. Etwas verdattert schaute ich mich um und dachte nur: „Wow, was für ein verrückter Traum!“ Vor allem konnte ich mich an jede Einzelheit klar erinnern. So etwas hatte ich zuvor noch nie erlebt. Meine Träume waren sonst bei mir nur undeutliche Erinnerungsfetzen. Für eine Stunde hielt ich mich wach. Als es draußen dunkel wurde, siegte erneut die Müdigkeit. Sobald ich die Augen schloss, war diese Frau wieder da und erzählte ihre Geschichte unbeirrt weiter. Ich protestierte und sagte ihr, dass ich als Mann doch nicht über eine Frau schreiben könne. „Das geht doch nicht!“

Sie erwiderte, gerade weil ich ein Mann sei, müsse ich ihre Erlebnisse niederschreiben. Ich müsse mich auch einfach nur an ihre Erzählung halten. Denn nur ein Mann habe den nötigen gesunden Abstand, der für ihre wahrlich abenteuerliche Geschichte notwendig sei. Sie behauptete, dass besonders Frauen gerne dazu neigen, sich einmal erlebte schlimme Dinge am Ende schönzureden. Das wolle sie aber nicht. „Ihr Männer seid dagegen oft schön brutal realistisch.“ Ich solle mich also nicht ständig herausreden und in Zukunft lieber aufmerksam zuhören, belehrte sie mich erneut. So gab ich mich geschlagen und wurde beinahe eins mit ihr. Denn diese Frau lässt mich bis heute nicht mehr los. Wenn ich jetzt schreibe, genügt etwas Konzentration und schon kann ich loslegen. Mit ihr bin ich in ferne Welten gereist und habe oft Raum und Zeit durchbrochen. Siebzehn dicke Bücher sind so schon bis heute entstanden. Ich weiß noch nicht, wann es ein Ende geben wird. Das werden Sie als Leser sicher auch mit entscheiden! Aber vielleicht ist sie eines Tages einfach weg. So weg, wie sie damals gekommen ist?

Ich habe mich auch oft schon gefragt, warum es ausgerechnet eine Zeitreisende sein musste. Warum ist es kein Mann, der durch Raum und Zeit reisen kann? Ein Mann, ein wahrer Held, eben ein ganzer Kerl, der all diese Abenteuer bestehen muss. Ich habe diese Variante für mich auch schon durchgespielt. Schon allein aus Solidarität zu meinem Geschlecht. Was soll angeblich diese Frau besser können als ein Mann? Doch mein Wunschheld war schon an den ersten Abenteuern in der Antike kläglich gescheitert. Die Natur des Mannes erlaubt es in vielen Situationen einfach nicht, sich kampflos zu unterwerfen. Sich gar wie unsere Heldin oft ganz aufzugeben, fällt jedem Mann unglaublich schwer. Sich wie unsere Protagonistin unter Zwang zu prostituieren, ist doch die brutalste Form der Selbstaufgabe. Oder etwa nicht?

Selbst die modernen Waffen könnten einen männlichen Helden nicht lange vor den Gefahren beschützen. Auch ein Recke braucht mal etwas Schlaf. Wenn ich also mit meiner Hauptfigur glaubwürdig bleiben wollte, müsste ich sie am Ende doch viel zu früh opfern. Schade, aber leider wahr. Meine Heldin dagegen hat wahrlich viele Fehler gemacht, aber nie wirklich um jeden Preis gekämpft. Ehre, Ruhm oder gar Macht waren ihr nie wichtig. Nur für die Liebe und für ihre Kinder kämpfte sie bis zur Erschöpfung. Das ist das Geheimnis ihres Erfolges bis heute, glaube ich. Das ist eben das Naturwunder Frau! Folgen Sie also dieser Frau auf ihren vielen Abenteuern durch Raum und Zeit.

Ich wünsche Ihnen dabei gute Unterhaltung!

Hardy Manthey“

Eben erst ganz frisch aus der Druckerei gekommen ist das fünfte und letzte Angebot dieses Newsletters, das zum noch einmal herabgesetzten Super-Sonderpreis von 99 Cents zu haben ist. Als zweiten Teil der Reihe „Die schönsten Sagen vom Schweriner Schlossgeist Petermännchen“ haben Erika und Jürgen Borchardt den Band „Erde, Blut und Rote Rüben. Petermännchen als Prophet – Weissagung und Wirklichkeit“ herausgebracht: Diese Geschichten sind erstmals veröffentlichte historische Sagen-Geschichten. Petermännchen agiert in ihnen als Prophet, als Seher und Warner. Durch verschiedenfarbige Kleidung und wundersame Erscheinungen kündigt er dramatische Ereignisse an. Sie haben furchtbare Folgen, vor allem im Leben der großherzoglichen Familie von Mecklenburg-Schwerin. Aber nicht allein dort. In den Geschichten geht es unter anderem um den – von Petermännchen angekündigten – deutsch-französischen Krieg 1870/71 (an den in Schwerin die Siegessäule auf dem Alten Garten erinnert), um den vorzeitigen Tod des so tatkräftigen Großherzogs Friedrich Franz II. 1883, dessen imposantes Denkmal im Schlossgarten steht, um den verheerenden Brand des Schweriner Schlosses 1913 und um andere tiefgreifende Ereignisse. Weitere Denkmäler wie das Anna-Hospital oder die Burg Reppin sind mit den Sagen verbunden. In einer der Geschichten lesen wir von einer Weissagung, die so fremdartig und rätselhaft ist wie die berühmten Orakel der griechischen Antike. Die – teilweise seltenen – historischen Ansichtskarten aus der Sammlung von Andreas Bendlin geben Ein-Blick auf Sagenort, Personen und Zeitumstände. Zur Einstimmung hier ein Stück aus der allerersten Geschichte, in der vom Mädchen Marie erzählt wird, das vom Dorf in die große Stadt kommt, und in der natürlich auch Petermännchen auftaucht …

Das unverhoffte Glück

Marie kam ins heiratsfähige Alter, fand einen guten Mann, liebte ihn herzlich und bald waren die beiden von einer fröhlichen Kinderschar umgeben. Die alte Prinzessin starb, Marie diente weiter im Schloss. Ihre Kinder wurden erwachsen und bekamen auch Kinder, das Zimmermädchen Marie wurde Großmutter. Die große Stadt war ihr zur Heimat geworden, sie war inzwischen viel, viel größer. Die Misthaufen an den Straßen verschwanden, der Fließgraben war überwölbt und nun eine Straße, ohne den furchtbaren Unrat, wie sie ihn anfangs aushalten musste.

Und der Großherzog hatte begonnen, das Schloss umbauen zu lassen. Jetzt wuchs hier das Märchenschloss, von dem Großmutter Marie als Mädchen geträumt hatte. Und in diesem Schloss wurde ihr ein unverhofftes Glück zuteil. Der Großherzog ließ im Glockenturm der Schlosskirche für das Petermännchen ein Zimmerchen einrichten, und das alte Zimmermädchen Marie war nur noch für dieses Zimmerchen zuständig. Darin standen ein Bettchen, ein kleiner Tisch und ein Stühlchen.

Jeden Morgen betrat sie es mit jenem Bangen, das sie schon als Kind verspürt hatte. Aber wenn sie die Bettdecke aufschüttelte und den Fußboden wischte, verging ihr die Furcht. Einmal sah sie des Morgens eine kleine Kuhle auf dem Bett. Es sah aus, als hätte sich ein Kätzchen dort zusammengekuschelt und geschlafen. Und daneben lag eine kleine Silbermünze. Marie war darüber ziemlich erschrocken. Von einer der älteren unter den Kammerfrauen erfuhr sie, dass in solch einer Nacht das Petermännchen dort geschlafen hätte. Und die Silbermünze dürfte sie getrost behalten; die wäre sein Lohn für sie. „Er scheint dich sehr zu mögen“, fügte sie mit einem Lächeln hinzu. Vielleicht glaubte sie, die Silbermünze wäre eine Zugabe, die der Großherzog Marie zukommen ließ. Weil sie schon so viele Jahre im Schloss diente.

Das Schloss war noch längst nicht fertig, da wurde Marie Urgroßmutter, sie musste nun überhaupt nicht mehr dienen. Das war ihr recht, sehr recht. Sie versorgte jetzt ihren kleinen Urenkel Johann. Mit ihm verwuchs Marie, wie wenn sie ihn selber zur Welt gebracht hätte. Und er war tatsächlich fast ihr Sohn. Sein Vater, ein Eisenbahner, die Mutter, Küchenhilfe in einem großen Hotel mit Restaurant, beide waren wenig zu Hause, der Junge – er wurde von Marie gewaschen und gewickelt, sie gab ihm seinen Brei, half ihm, den Fencheltee zu trinken, wenn er Bauchweh hatte, sie beruhigte ihn, wenn er sich beim Herumtollen eine Schramme zuzog und ein paar Blutstropfen am Knie hervorquollen und er darob ganz verschreckt schrie, sie erzählte ihm das lustige Märchen vom Zaunkönig, das er immer wieder hören wollte, erzählte Geschichten vom Petermännchen, ach, wie liebte er jene mit der Armspange, in der sich Eisen in Gold verwandelte.

Sie erklärte ihm den Unterschied von Jungs und Mädchen, als er sich über diesen Unterschied wunderte. Ein paar Jahre später ging er häufig eigene Wege. Aber immer blieb er in ihrem Herzen. Marie gehörte zu den wenigen Menschen, die ein hohes Alter und auch noch bei bester Gesundheit erreichten. Ihr ruhiges und bescheidenes Glück hätte andauern können, bis ans Ende ihrer Tage. Jäh wurde es, ohne ihr Zutun, zerstört.“

Allerdings hatte Schlossgeist Petermännchen, der offenbar über prophetische Fähigkeiten verfügt, auch dieses Unglück zwar vorausgesagt, ohne dass er selbst etwas dagegen unternehmen konnte. Soweit reichen seine geheimnisvollen Kräfte offenbar nicht. Und auch viele andere Menschen wussten mit seinen Hinweisen auf die angekündigte große Gefahr leider nichts anzufangen. Vielleicht gelingt das heute besser, auch wenn man ganz ehrlich gesagt in letzter Zeit recht wenig von Petermännchen gehört hat. Oder hat ihn vielleicht doch jemand persönlich gesehen?

Apropos persönliche Begegnung. Das würde sich natürlich auch bei der Zeitreisenden lohnen, bei Georg Friedrich Händel, mit dem Sie ganz sicher auch auf Englisch und Italienisch reden könnten, und bei Herrenfrisör Kleinekorte. Also, warum zögern Sie noch? „Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt?“

Viel Spaß beim Lesen, einen schönen Frühling und schöne Frühlingsgefühle und bis demnächst.

Über die EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

EDITION digital wurde vor 24 Jahren von Gisela und Sören Pekrul gegründet und gibt neben E-Books (vorwiegend von ehemaligen DDR-Autoren) Kinderbücher, Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, derzeit fast 1000 Titel (Stand März 2019).

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