Von Winfried Prost

Nach schmerzlich erlebten Wort- und Treuebrüchen denkt man darüber nach, welche Verbindlichkeit, Zuverlässigkeit oder Gültigkeit ein gegebenes Wort haben mag oder haben sollte. Was gilt und worauf kann man sich verlassen? Oder besser: Auf wen kann man sich unter welchen Umständen verlassen?

„Ja“ heißt „ja“ und „nein“ heißt „nein“. Punkt.

So kann man es formulieren und auf der Gültigkeit bestehen. Bei Kindern und Unmündigen würde man diesen Maßstab nicht ansetzen, bei mündigen Erwachsenen schon.

–   Nach dem letzten Gebot fällt bei einer Auktion der Hammer und damit ist entschieden und der Zuschlag erteilt. Endgültig.

–   Bei Gericht ist es mit dem Urteilsspruch ähnlich. Entschieden. Revision in zweiter und dritter Instanz ist möglich, kann aber sehr teuer werden.

–   Die Rückabwicklung eines notariellen Kaufvertrags über den Kauf einer Immobilie ist sehr schwierig, erst recht, wenn zwei oder 25 Jahre seitdem ins Land gegangen sind. Man kann leichter versuchen, die Immobilie weiter zu verkaufen.

–   Ein Eheversprechen wird ausdrücklich für lebenslänglich, sowie für gute und für schlechte Zeiten gegeben. Eine solche Verbindung einzugehen ist ein besonderes, im Idealfall einzigartiges Ereignis im Leben. Um den Wert und die Gültigkeit einer solchen Zusage zu manifestieren, gibt man sie traditionell nur unter besonders festlichen Umständen und ganz ausdrücklich vor Zeugen.

–   Ebenso gilt ein Treueschwur unter Freunden als eine lebenslängliche Verpflichtung zum gegenseitigen Beistand ohne Ausstiegsklausel.

Ein Ehrenwort ist eine Sprechhandlung

Man kann über Themen reden, ohne dass das etwas ändert. Man kann auch mit dem Hammer etwas zerschlagen ohne zu reden. So unterscheidet man Worte und Handlungen. Es gibt aber auch „Sprechhandlungen“, das bedeutet Worte, durch die man handelt. Ein Versprechen ist eine solche Sprechhandlung. Allein indem man die Worte des Versprechens ausdrücklich sagt, hat man schon gehandelt und ist etwa eine Ehe, eine Freundschaft, eine finanzielle Verpflichtung, einen Kauf eingegangen.

Viele Menschen brechen ihr Wort

Viele Menschen halten sich nicht an Verabredungen und Vereinbarungen und brechen ihr Wort. Das liegt teilweise daran, dass sie unbewusst nach folgenden  Maßstäben handeln:

1. Das habe ich nur so gesagt und nicht wirklich so gemeint

Manche Menschen überbieten sich selbst an Unverbindlichkeit. Entweder sie erinnern sich nicht an das, was sie letzte Woche noch gesagt haben, erklären es im Nachhinein für unverbindlich und nicht wirklich so gemeint, oder sie reden sich heraus, indem sie sich darüber beschweren, dass man sie ernstgenommen hat. Man sollte also entweder nachfragen, ob jemand etwas wirklich ernst gemeint hat, oder einmal beobachten, wie viel Prozent von dem, was diese Person von sich gibt, sich im Nachhinein als ernsthaft bewährt. Bei manchen Personen ist das enttäuschend wenig. Ein Sohn, den ich diesbezüglich hinsichtlich der Aussagen seines Vaters fragte, meinte ernüchtert: „Er hält höchstens 40 Prozent seiner Ankündigungen ein.“

2. Es nutzt mir nichts mehr

Als Maßstab für die Verbindlichkeit einer Absprache setzen andere Menschen ihren Nutzen. Im Idealfall sollte dann der Vorteil auf beiden Seiten gleich groß sein. Das klingt zwar gut, aber dann würde jedes gegebene Wort schon bei einer leichten Dysbalance automatisch hinfällig. Da würde also nicht das Wort, sondern das Verhältnis gelten. 

3. Ich bin schlauer geworden

Manchmal steigt jemand aus einer verbindlichen Zusage mit der Argumentation aus: Ich bin jetzt schlauer geworden und es ist mir wie Schuppen von den Augen gefallen.“ Sie setzen damit ihren aktuellen Grad der persönlichen Einsicht als Maßstab für die Gültigkeit ihrer Zusagen an und diese entfällt dann sofort mit jedem „schlauer werden“ und mit jeder neuen Einsicht. Eine solche Vereinbarung kann dann jederzeit plötzlich widerrufen werden.

4. Das fühlt sich für mich nicht mehr gut an

Man hört auch die Argumentation: „Das fühlt sich für mich jetzt nicht mehr gut oder richtig an.“ Setzt man das aktuelle Gefühl als Maßstab, dann könnte jegliches wechselnde Gefühl – und Gefühle können ja tatsächlich durch unterschiedlich begründete Hormonschübe, Alkohol- und Drogenkonsum, sowie mondphasenbedingt wechseln –  die Gültigkeit eines Versprechens außer Kraft setzen.

Was ist also ein Versprechen wert?

Der Wert eines Versprechens wäre in allen drei beschriebenen Fällen vom Verlauf des täglichen wechselnden wirtschaftlichen, intellektuellen oder emotionalen „Aktienbarometers“ abhängig und so gering, dass es eine erhebliche Torheit wäre, sich darauf zu verlassen und eine Beziehung, ein Geschäft oder eine Investition darauf zu bauen.

Kann man denn überhaupt etwas dauerhaft zusagen?

Geschäftlich, rechtlich, juristisch beinhalten viele Verträge eine Änderungs- oder Ausstiegsklausel. Da hat seinen Sinn darin, dass sich Interessen und Umstände ändern können.

Psychologisch kommt es darauf an, wie man sich selbst einschätzt und wie man andere sieht. Die philosophische Grundfrage ist die, ob sich trotz allem Wandel eine Kernidentität einer Person durchhalten lässt oder nicht. Es gibt da mindestens zwei Auffassungen, oder man könnte auch sagen zwei unterschiedliche Persönlichkeitstypen:

   – Ich verändere mich ständig und weiß nicht, wer ich später bin

Wenn man sich als jemanden erlebt, der vor allem durch Rücksichtnahmen auf andere Personen, durch eigene Launen und Druck von außen gesteuert wird, sollte man vielleicht realistisch genug sein, keine Versprechen abzugeben.

   – In meiner Kernidentität und meinen Werten bin ich stabil

Wenn man sich dagegen für jemanden hält und kennt und sich dies auch als Wert und Maßstab setzt,  auch in sich ändernden äußeren und inneren Umstände nach Prinzipien wie Treue, Verbindlichkeit und Verlässlichkeit leben zu wollen, dann kann man Versprechen leisten und dauerhaft verbindliche Zusagen machen.

Wenn man die Biografien von Prominenten liest, findet man häufig, dass sich bei ihnen schon sehr früh ihre Berufung, ihre speziellen Neigungen und wesentlichen Charakterzüge offenbart haben. Andere Menschen halten auch tatsächlich über Jahrzehnte Beziehungen stabil. Eine stabile Kernidentität kann es also geben. Dass Verabredungen und Zusagen nur halten können, wenn und solange sie im Einklang mit dieser Kernidentität bleiben, leuchtet ein, ist diese aber in sich stabil, so können das auch ihre Zusagen sein.

Hinsichtlich Partnern ist es dann vorteilhaft, sich frühzeitig gut anzuschauen, nach welchen Prinzipien und Verhaltensmustern sie bisher gelebt haben, welche Werthaltungen sie ausdrücken und daraus Schlüsse auf ihr zukünftiges Verhalten abzuleiten. Im Nachhinein nach einem gebrochenen Wort und einer damit verbundenen Enttäuschung hat fast jeder schon erlebt, dass ihm Dinge über den anderen einfallen, die man schon zu Beginn einer Beziehung als Information erhalten hatte, die man damals aber im Schwung der Begeisterung nicht ernst genommen hat.

Die Sprache kann unterscheiden. Nutzen wir sie doch!

Unsere Sprache ermöglicht immerhin frühzeitig viele klare Differenzierungen. Sie kann unterscheiden zwischen Gefühlsäußerungen, momentanen Einschätzungen, unverbindlichen Absichtserklärungen, Zusagen mit Laufzeitbegrenzungen, festen Zusagen, ausdrücklichen Willenserklärungen, sowie Versprechen und Schwüren.

Bei letzteren gilt es als ehrenrührig für denjenigen, der sein Versprechen oder seinen Schwur bricht, sowie als verletzend und kränkend für den Partner gegenüber. Meistens zerbricht darüber Vertrauen und eine Beziehung.

Deshalb geht es hier nicht um moralische Wertungen, sondern zunächst um die Klarheit darüber, seine Worte gut abzuwägen und nicht leichtfertig Vertrauen und Beziehung auf Spiel zu setzen, indem man munter drauflos Versprechungen und Schwüre macht, die man dann später nicht mehr halten kann.

Symbolisch klärende und verstärkende Handlungen

Zu den Worten kommen Gesten oder Symbole: Beim Viehandel gilt nach wie vor der Handschlag als rechtsverbindlich. Ein dem Partner oder der Partnerin an den Finger gesteckter Verlobungs- oder Hochzeitsring mit Innengravur „für immer“ gilt ebenfalls als  verbindliches Symbol. Wenn sich zwei damit verbindlich einander zugesagt haben, bedeutet ein Ausstieg daraus das Ende der Beziehung.

Der ehrenwerte Hanseatische Kaufmann

Für einen ehrenwerten hanseatischen Kaufmann, von denen es immer noch einige gibt, ist sein gegebenes Wort eine „Ehrensache“. Mehrere Unternehmer berichteten mir, dass sie ihr Wort selbst dann halten würden, wenn ein Geschäftspartner sich auf etwas berufen würde, was er angeblich gesagt habe, an das sie sich selbst aber nicht mehr erinnern könnten. Hier geht es um Ehre, Verlässlichkeit und Vertrauensschutz.

Klarheit in sich selbst

Nach allem Gesagten wird man also klug sein, die sprachlich möglichen Unterscheidungen eines Verbindlichkeitsgrades klar zu unterscheiden und zu kommunizieren. 

Außerdem sollte man sich selbst sehr genau prüfen, ob man ein Versprechen oder einen Schwur nicht nur im Überschwang der Gefühle leisten will, sondern auch, ob man wirklich gewillt und in der Lage sein wird, die Einhaltung dieser höchsten Verbindlichkeit zu garantieren. Dazu sollte man über eine realistische Selbsteinschätzung verfügen, sich selbst gut kennen und sich ausdrücklich prüfen.

Die persönliche Reife zu dauerhafter Gültigkeit

Es kann ein großes Glück und eine hohe menschliche Reife ausdrücken, sich dauerhaft und sogar lebenslänglich durch ein Wort zu binden und zu verbinden. Eine Probezeit wie die Verlobungszeit vor einer Ehe oder erste gemeinsame Projekte können da für Klarheit sorgen.

Unter mündigen und voll erwachsenen Menschen können solche gegenseitige Zusagen auf Lebenszeit ein Ausdruck höchster menschlicher Reife und Verantwortlichkeit sein und das höchste geistig-spirituell Niveau des Menschseins bedeuten.

Warnung: Man sollte sich bewusst sein und darauf achten, dass solche Zusagen nur gültig sein können, wenn sie von beiden Seiten mit gleicher Aufrichtigkeit, Vollständigkeit und Verbindlichkeit gegeben werden. Es darf nicht sein, dass sich einer einseitig an ein von ihm gegebenes Wort gebunden fühlen muss, dem kein entsprechendes von der anderen Seite gegenüber steht.

Die ausdrückliche ewige Gültigkeit eines Versprechens

Bei manchen Versprechen wird ausdrücklich mit einbezogen, dass es für gute und schlechte Zeiten und „bis dass der Tod uns scheidet“ gelten soll. Aus Liebe heraus ist es dann dafür aufgestellt, einander eine gegenseitige existenzielle Fürsorge zuzusagen. Zwei Menschen schenken einander damit ausdrücklich Sicherheit und Geborgenheit auch für schwere und schlechte Zeiten, in denen es dann keine Balance mehr von Geben und Nehmen gibt. Dann kann es sein, dass nur noch der eine gibt und der andere nur noch nimmt. Dass diese Phase schwer werden kann, ist offenbar. Aber genau die Erklärung der Bereitschaft dazu, das mit zu tragen, macht den hohen Wert dieses Geschenkes aus. 

Der Beweis der Möglichkeit

Die Schwerkraft lässt viele Dinge zusammenbrechen. Aus Trägheit lassen auch viele Menschen andere im Stich. Aber ein hoch aufgestellter Leuchtturm mit seinem Strahl durchdringt den Nebel, widersteht der Schwerkraft und trotzt sogar den großen Wellen. Das kann eine Vision sein: Den Beweis und das Vorbild zu liefern, dass Freundschaft, Liebe und Treue hoch und fest stehen, wie ein Leuchtturm in einer volatilen, von großen Wellen bewegten Zeit, zu zeigen, dass auch ein Wort und eine Zusage stabil stehen und gelten. Beweisen, dass sich ein Mensch einem anderen Menschen fest und verlässlich zusagen kann, und dass ein andere sich auch fest darauf verlassen kann.

Wir brauchen einander. Keiner lebt nur für sich alleine. Unfall, Krankheit und Not können jeden treffen, das Sterben und der Tod treffen wirklich jeden. Aber vorher findet das Leben statt, und das kann umso glücklicher schwingen, je mehr es von Liebe und Geborgenheit getragen und umfangen wird.

Und eine von Herz und Seele offene Freundschaft und Liebe kennt zwar praktische Rücksichtnahmen, aber keine innere Grenze und keinen Vorbehalt. Sie will frei aus der Quelle fließen.

Und wenn es doch nicht geht: Vertrauenswahrende neue Absprache

Und dennoch: Alles unterliegt dem Wandel. Vielleicht scheint es trotz aller edlen Motive und Grundsätze irgendwann einmal so, dass sich Gefühle, Einsichten und Umstände so schwerwiegend verändert haben, dass man sich nicht mehr in der Lage fühlt, ein gegebenes Versprechen einzuhalten.

Ein Partner, der mit einer solchen Situation schockhaft konfrontiert wird, mag da innerlich blockieren und auf stur schalten.

Ein entspannter Partner, dem man das erklärt, und den man um eine gemeinsame Abänderung und Neuabsprache bittet, könnte auch mit Einsicht reagieren und verstehen, dass ein Beharren auf der bisherigen alten Absprache zu nichts Gutem führt.

Insofern besteht ein Ansatz für konstruktiven Umgang mit Wandel und für den vertrauensvollen Umgang miteinander, dass man ein gegebenes Wort so lange definitiv als gültig und verbindlich betrachtet, wie der Partner auf dessen Verbindlichkeit pocht, bzw. bis er den anderen daraus zu gegebenenfalls völlig neu ausgehandelten Konditionen entlässt.

Vermutlich muss derjenige, der eine Änderung wünscht, dann einen Preis für diese Entlassung aus dem Wort zahlen. Das mag schmerzen, kann aber den Preis wert sein, wenn das Vertrauen und der Ruf der eigenen Vertrauenswürdigkeit beim anderen erhalten bleibt, und wenn man selbst sich selbst gegenüber dadurch seine eigene Würde und Integrität bewahrt.

Wort und Verantwortung

Aber es geht auch um noch mehr als um das Wort und seine Haltbarkeit. Sobald jemand an eine feste Zusage glaubt, zieht er Konsequenzen und baut sein restliches Leben darum herum auf. Er informiert andere Leute, setzt seine Prioritäten neu, lässt sein Geld in andere Richtungen fließen, bindet sich fester an seinem Wohnort oder erwägt neue Ausrichtungen. Erfährt er dann mehrere Monate später, dass ein Wort, ein Versprechen, zurückgenommen wird oder doch nicht gilt, bricht nicht nur diese Vertrauensbeziehung zusammen, sondern in seinem Leben und Umfeld erweisen sich andere gesetzte Prioritäten als sinnlos und brechen ebenfalls zusammen.

Wer also sein Wort gibt und etwas verspricht, sollte sich bewusst sein, dass er damit auch Verantwortung für die Folgen übernimmt, und eigentlich auch für die Folgen eines Widerrufs mit haftbar wird, selbst wenn man ihn rechtlich nicht dafür belangen kann. Oft geht es ja auch um einen emotionalen Schaden.

Wiederum stellt sich die Frage nach der Verantwortungsfähigkeit des Menschen, der eine Zusage gegeben hat. Ist er fähig, eine Zusage durch schwankende Gefühle, neue Einsichten, und sich wandelnde Umstände so durchzutragen, dass er damit und dabei einem anderen Menschen die Treue und Verbindlichkeit einhält. Wer das unter Inkaufnahme von Nachteilen, Verlusten und eigene Gefahr tut, gilt gewiss zu Recht als Held.

Winfried Prost

Wenn Sie im Schockzustand nach einem Vertrauensbruch sind, oder einen Vertrauensbruch nicht oder nur schwer verarbeiten können, besteht die Möglichkeit, darüber in einem Coaching zu sprechen und Lösungen für Sie zu erarbeiten.

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Über Akademie für Ganzheitliche Führung

Winfried Prost ist Gründer und Leiter der Akademie für Ganzheitliche Führung und Coaching in Köln und Zürich. In Kommunikation und Führung steht für ihn Vertrauen als oberster Wert. Er hat 49 Bücher verfasst, etwa 2000 Kommunikations-, Führungs- und Selbstführungsseminare durchgeführt und zirka 18.500 Führungskräfte in Einzelcoachings beraten. Er arbeitet effizient sowie ziel- und lösungsorientiert und engagiert sich für eine gesunde Lifebalance seiner Gesprächspartner. 2017 bis 2019 ist er in die Liste der TOP 100 Excellent Trainer Deutschland/Österreich/Schweiz aufgenommen.

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