„Heut geh ich ins Maxim …“ – Kennen Sie eigentlich noch Johannes Heesters? Möglicherweise ist der seinerzeit vor allem in Deutschland berühmte niederländische Schauspieler und Tenor heute nicht mehr so vielen Menschen ein Begriff. 1948 aber war das noch ganz anders. Und so ist es auch kein Wunder, dass Heesters im fünften und letzten der insgesamt fünf aktuellen Angeboten dieser Ausgabe, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 15.11.19 – Freitag, 22.11.19) zu haben sind, eine gewisse Rolle spielt. Es gibt da nämlich jemanden, der ihm offenbar ziemlich ähnlich sieht. Zumindest aus der Sicht zweier junger Frauen. Mehr zu diesem Zusammentreffen in dem bis zur letzten Minuten spannenden Kriminalroman „Mord am Hirschlachufer“ von Dietmar Beetz.

Ein zweites spannendes Buch von Dietmar Beetz unter dem Titel „Oberhäuptling der Herero“ spielt Ende des 19. Jahrhunderts in Deutsch-Südwestafrika – zwischen 1884 und 1915 eine Kolonie des Deutschen Kaiserreiches.

Ebenfalls mit deutscher Geschichte befasst sich Hans Bentzien in seinen Märkischen Miniaturen: „Das ungleiche Königspaar. Der schiefe Fritz und die allerschönste Prinzessin“. Darin spielen auch Kissen eine besondere Rolle – Kissen vom König.

Als viertes Angebot des heutigen Newsletters steht außerdem ein utopischer Roman zur Auswahl. Im „Souvenir vom Atair“ geht es um ein geheimnisvolles Geschenk und seine Folgen.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Heute steht ein Utopischer Roman zur Debatte, der zeigt, wie es auf der Erde aussehen könnte, wenn die Folgen des Klimawandels sowie andere destruktive Entwicklungen nicht aufgehalten werden. Insofern kann man dieses Buch auch als eine Art Anti-Utopie verstehen – und als eine Warnung.

Erstmals 2012 und 2017 in einer 2., stark überarbeiteten Auflage hat die EDITION digital Teil 7 der „Zeitreisenden“-Reihe von Hardy Manthey herausgebracht „Die Macht der Unsterblichen. Ein fantastischer Roman“: Die ferne Welt des Planeten, auf dem die Frauen herrschten, hat Aphrodite nun verlassen. Die Erfahrung, dass die Macht in den Händen der Frauen nicht automatisch Glück und Wohlstand für die Menschen bedeutet, nimmt sie mit. Herrschaft über das andere Geschlecht bedeutet also immer Ungleichheit und Ausbeutung. Auch weiß sie nun, dass der Überlebenskampf eine wichtige Triebfeder des Fortschritts ist. Versinkt eine Gesellschaft in Stagnation und begnügt sich mit dem Wenigen, was sie erzeugt hat, ist der schleichende Untergang schon in Sicht. Die Welt des vierten Jahrtausends wartet in dem vorliegenden Teil auf sie. Ist es der Blick in eine leuchtende Zukunft oder darf die Zeitreisende dem Untergang der Menschheit zuschauen? Begleiten Sie Aphrodite in eine Zukunft, die sich wohl niemand so wünscht! Wie es dort aussieht zeigt eine Kurzbeschreibung der Welt, die Aphrodite, der Zeitreisenden, klarmachen soll, wo sie sich eigentlich befindet und die sie erschrecken und an den Auskünften zweifeln lässt:

„Aphrodite lässt sich von seinem Gerede rumkriegen und sagt schon versöhnlicher: „Schmeichler, Heuchler! Gut, einverstanden, aber erklär mir bitte, was im vierten Jahrtausend so schief gelaufen sein soll, denn der billige Fummel lässt wirklich nichts Gutes erahnen!“

„Gut, werden wir jetzt konkret. Dort, wo die Frau am Wasser steht, ist Südamerika. Wir sind hier an der Küste vor Antigo. Das ist ein Stadtteil von Rio de Janeiro. Es ist Anfang Mai 3871! Die Welt wird von einer kleinen Schicht superreicher Männer beherrscht. Es sind nur ein paar Tausend unsterbliche Männer. Aber sie haben auf der Erde die Macht an sich gerissen. Die zwei oder drei Frauen mit etwas Macht können wir getrost unter den Teppich der Geschichte kehren. Du hast richtig gehört, diese Männer sind allmächtig und obendrein auch noch unsterblich. Sie regieren schon seit drei Jahrhunderten. Jede notwendige Arbeit in dieser Welt wird ausschließlich von intelligenten Maschinen verrichtet. Die knapp drei Milliarden Menschen auf der Erde werden von diesen Maschinen Tag und Nacht überwacht.“

„Ihr scherzt, das kann nicht sein. Wir sollen nur noch drei Milliarden Menschen sein?“, unterbricht Aphrodite ihn geschockt. Der Mann kann mit seiner Behauptung nur gelogen haben. Niemand kann sechs Milliarden Menschen einfach so auslöschen! Keine Macht ist zu solchen Verbrechen fähig! Das kann nur eine Lüge sein!

Marotti lächelt und erklärt weiter: „Diese drei Milliarden Menschen werden nicht nur von diesen Maschinen ernährt. Nein, die unsterblichen Männer und diese Maschinen entscheiden darüber, wer von ihnen es wert ist, am Leben erhalten zu werden. Dazu sind die einfachen Menschen dem Willen und den Launen der Superreichen wehrlos ausgeliefert. Arbeit gibt es nur im Dienstleistungssektor und im Staatsapparat. Die meisten sind auf Zuteilungen von Lebensmittelmarken und Bezugsscheinen für Sachwerte angewiesen. Nur wer den Mächtigen bedingungslos dient, erhält bescheidene Vergünstigungen. Die Beamten, die Politiker aller Ebenen und die Polizei sind durch und durch korrupt. Allmächtige Medien, Drogen, Sportwetten und Prostitution sind an der Tagesordnung. Die große Masse der Bevölkerung geht keiner geregelten Arbeit nach. Die meisten Menschen haben keine Aussicht auf irgendeine Verbesserung ihrer Lebenssituation. Sie sind zur Untätigkeit verdammt. Es hungert hier aber niemand. Alles gibt es im Überfluss. Die Menschen werden bewusst in Unwissenheit und gesteuerter Passivität gehalten. Universitäten und Forschungsstätten gibt es wohl noch, aber darüber wissen wir nicht viel. Forschung und Forschungsziele werden streng geheim gehalten. Durch die geringen Bildungschancen und die allgegenwärtige Überwachung durch die Mächtigen sind die einfachen Menschen kontraproduktiv geworden. Manipulierte Medien und vor allem die vielen gigantischen Sportveranstaltungen halten sie unter Kontrolle und von den wirklichen Problemen dieser Welt fern. Drogensucht und Gewalt sind allgegenwärtig. Die Männer sind der Spielsucht und dem Alkohol verfallen. Alle Männer erhalten genug Geld und Gutscheine, dass sie alleine relativ gut leben können. Frauen erhalten grundsätzlich nur halb so viel Geld und auch weniger Bezugsscheine. Für ihr erstes Kind gibt es auch noch Geld. Alle weiteren Kinder erhalten erst als Erwachsene getrennt nach Geschlecht Zuwendungen. Frauen können also nur ihren Körper verkaufen, um sich und ihre Kinder zu ernähren. Schöne Frauen sind eine begehrte Handelsware. Die Unsterblichen suchen ständig nach frischem Fleisch. Du wirst also schnell ihre Aufmerksamkeit erregen!“

„Darum habt ihr mich gewarnt, es mit der Schönheit nicht zu übertreiben!“, unterbricht Aphrodite Marottis Rede.

Marotti nickt und erklärt weiter: „Du wirst sicher mit deiner auffallenden Schönheit Probleme bekommen. Doch jetzt muss ich dir diese Welt weiter erklären. Es geht also auch hier nicht voran. Dazu sind riesige Gebiete der Erde durch Raubbau, Umweltverschmutzung und gewaltige Umweltkatastrophen stark geschädigt. Manche Gebiete sind für den Menschen sogar gänzlich unbewohnbar geworden. Sie leben fast ausschließlich in sogenannten Megastädten. Allein im Großraum Rio leben dreißig Millionen. Es gibt aber auch Städte und Ballungszentren, in denen über einhundert Millionen leben. Dazu musst du wissen, dass sich durch den weltweit gestiegenen Meeresspiegel die Weltkarte stark verändert hat. Auch durch gewaltige Fluten, gigantische Erdbeben und Dutzende zum Teil katastrophale Vulkanausbrüche hat sich das Gesicht der Erde in den letzten zweitausend Jahren sichtbar verändert. Es traf Tausende kleine Inseln und Küstenlandschaften. Bekanntes und Liebgewonnenes aus deiner Zeit ist in den größer gewordenen Meeren einfach versunken. Die anfänglich kläglichen Versuche, durch Fluten von tiefer gelegenen Landflächen dem stetig steigenden Meeresspiegel entgegen zu wirken, waren so gut wie nutzlos. Sie haben nur zusätzlich einmalige Landschaften und Regionen zerstört oder besser gesagt unter Wasser gesetzt. Weil die Erde so geschädigt ist und die Lebensbedingungen und die Gesundheitsversorgung der einfachen Menschen nicht einmal den Stand des zwanzigsten Jahrhunderts erreichen, schrumpft die Weltbevölkerung unaufhaltsam. Um die dritte Jahrtausendwende ist die Weltbevölkerung innerhalb eines Jahrhunderts durch verheerende Pandemien von einstmals knapp elf Milliarden auf vier Milliarden Menschen geschrumpft. Die drei Milliarden Menschen heute sind das Ergebnis der Politik der herrschenden Kaste der letzten drei Jahrhunderte. Die superreichen Unsterblichen leben abgeschieden auf einigen Inseln. Sie leben in für dich unvorstellbarem Luxus. Diese Unsterblichen sind an keiner weiteren Entwicklung der Menschheit interessiert. Von einer Weiterentwicklung der Produktivkräfte ist also schon lange keine Rede mehr. Die gesamte Raumfahrt ist zum Erliegen gekommen. Es gibt nur noch einige Satelliten in der Umlaufbahn der Erde für Fernsehsender und zur Überwachung des Wetters. Das Abwehrsystem gegen Asteroiden oder Meteoriten existiert zwar noch, ist aber völlig veraltet. Nein, das Zeug ist Schrott. Wie und ob es überhaupt weiter geht, wissen wir nicht. Das sollst du für uns herausfinden. Finde für uns heraus, was wirklich auf der Erde los ist. Wir hoffen, durch deine Nähe zu den Menschen, durch deine Vor-Ort-Recherche Näheres zu erfahren. Die Medien bringen leider nur Sportnachrichten und den aktuellen Wetterbericht. Was wirklich in allen Teilen der Welt los ist, erfährt man dort nicht. Konkrete Nachrichten über das Leben der Menschen gibt es praktisch nicht mehr. Es scheint auch keinen Menschen mehr zu interessieren. Suche Kontakt zu den einfachen Menschen und erkunde Schwachstellen der Unterblichen. Gibt es Widerstand gegen die Herrschenden? Sind diese Kräfte vielleicht im Untergrund aktiv?“

Aphrodite ist geschockt und klagt: „Oh Gott, was ist das für eine Welt!“

„Das wüssten wir auch gerne“, meint Marotti.

Aphrodite nachdenklich: „Gut, ich bin bereit. Die drei Monate Hölle auf Erden werde ich schon überstehen.“

„Ich wünsche dir viel Glück! Übrigens wird nur noch englisch gesprochen. Alle anderen Sprachen wurden vor einigen Jahrhunderten verboten. Zumindest darf im öffentlichen Leben nur noch englisch gesprochen werden.“

„Soll ich die Sachen wieder ausziehen?“, fragt Aphrodite unsicher.

„Du kannst sie anbehalten. Es ist warm dort draußen. Der Wind wird deine Sachen schnell trocknen.“

„Warm ist es wenigstens. Gut, lass mich aufbrechen!“, erwidert Aphrodite, holt tief Luft und springt kopfüber in das Wasser. Nach einigen kräftigen Schwimmbewegungen hat sie die Wasseroberfläche erreicht. Das Ufer ist wirklich nicht weit. Nur die hohe Brandung des Atlantiks macht ihr etwas Sorgen. Doch der Trick abzutauchen, erspart ihr viel Mühe. Sie steht bis zu den Knien im Wasser und sieht, dass gleich hinter dem Strand eine Straße sein muss. Doch nur wenige Fahrzeuge fahren in beide Richtungen. Dahinter sind Häuser zu sehen, die in einem schlechten Zustand sind. Der Horizont ist nur ein Nebel aus Häusern und vielleicht Bäumen. Wenigstens der Himmel über ihr ist zum Glück blau. Sie dreht sich um und sieht die Sonne aufgehen, als sei die Zeit stehen geblieben. Ist sie wirklich im vierten Jahrtausend?“

Und damit zu ausführlicheren Vorstellungen der anderen Sonderangebote dieses Newsletters:

Erstmals 1985 veröffentlichte Alexander Kröger im Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig den Wissenschaftlich-fantastischer Roman „Souvenir vom Atair“. Dem E-Book liegt die Originalausgabe von 1985 zugrunde: Wally 327 Esch entdeckt auf der Venus als einzige Überlebende einer Rettungsexpedition das geborstene Raumschiff, und sie findet Dirk, ihren Lebensgefährten, aus dessen toter Hand sie ein Souvenir entnimmt, das, so glaubt sie, für sie bestimmt ist. 18 Jahre hütet sie das Geheimnis dieses Geschenks. Dann berichtet sie dem Sohn Mark von der Operation in einem verlassenen Urwaldhospital und von Bea, einem Mädchen mit Tigeraugen und vier Fingern an jeder Hand, … Sie bürdet damit dem jungen Mann eine Verantwortung auf, die er allein nicht tragen kann. Alexander Kröger richtet in dem Buch von 1985 in einer mitreißenden Handlung – in Sicht auf heutige Realitäten und Tendenzen wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung – das Augenmerk des Lesers auf die Verantwortung der Menschen für ihre Zukunft. Zu Beginn des spannenden Buches lernen wir Mark kennen, der sich offenbar verliebt hat:

„Ein gedämpftes Gongschwingen beendete den Unterricht. Wenige Minuten danach verließen die Schüler das alte schmucklose Gebäude, verließen es so, wie alle Schüler dieser Erde Schulen verlassen, lachend, schwatzend, gemessen die einen, eilig andere.

In einer sich laut unterhaltenden Gruppe von Mädchen und Burschen schritt ein junger Mann, der auffiel. Er schien ein wenig schlanker noch als andere, schlaksiger. Sein Kopf war deutlich größer als der seiner Altersgenossen. Das Gesicht des jungen Mannes war so glatt, wie es keine, auch nicht die sorgfältigste Rasur zuwege brachte. Ihm fehlte jeglicher Bartwuchs.

Der junge Mann schritt weit ausholend, wiegend. An den Gesprächen beteiligte er sich nur gelegentlich. In der linken Hand trug er den Aufzeichner. Als er mit der rechten ein Insekt von der Stirn strich, tat er das mit einer vierfingrigen und daher überschlanken Hand …

An einer Kreuzung der Parkwege verharrte die Gruppe. Die jungen Leute verabschiedeten sich mit Floskeln wie: „Bis heute Nachmittag“, „… bis morgen!“, „Nein, ich gehe schwimmen.“ Eine Anzahl wollte sich am Strand treffen.

Jemand fragte den jungen Mann: „Luchs, gehst du auch baden?“ Nicht am schwarzen schweren Zopf, sondern an der Stimme erkannte man, dass es ein Mädchen fragte.

Er blickte sie aus Augen an, die den Spitznamen sofort verständlich machten. Diese Augen hatten eine goldgeflammte Iris und einen kleinen senkrechten Pupillenschlitz. Aber etwas Gefährliches wie bei einem Raubtier lag nicht im Blick, eher etwas Erhabenes, weit abgewandtes, etwas Anziehendes, Sanftes auch. „Ja“, antwortete er leise, zögernd.

„Holst du mich ab?“

Er schüttelte den Kopf. „Wir treffen uns unten — an unserer Stelle.“

Sie standen sich gegenüber, allein gelassen. Die anderen waren ihrer Wege gegangen.

„Also“, sie fasste flüchtig seine Hand. „Um drei!“ Sie lächelte ihn an. „Bis nachher, Mark!“ Flott schritt sie davon, schlenkerte mit der Tasche.

Vor Mark erstand das besorgte Antlitz der Mutter. Obwohl er es vorher oft erwogen, aber nie eingehalten hatte, dieses Mal wollte er ihr wirklich nichts von seinem Rendezvous mit Li mitteilen. Dass ich im Vergleich zu meinen Mitmenschen ein wenig anders aussehe, ist kein Grund, mich nicht mit einem Mädchen, mit Li zu treffen! Und ein anderes Argument hat Mutter nicht. Meine Güte — wie viele Menschen haben einen sogenannten Geburtsfehler, und das trotz der ausgefeilten Methoden der Früherkennung. Gegenüber anderen Gebrechen komme ich doch noch sehr gut davon!

Längst grübelte Mark nicht mehr über die Ursachen seiner äußeren Abweichungen von der Norm. Er sah eben anders aus, basta. Es gab eine Zeit, da in der Menschheit allerlei spontane Missbildungen durch Medikamente, Umwelteinflüsse oder Strahlung auftraten. Man hatte das eingedämmt. Aber hie und da trat eben doch noch dieser oder jener Fall zutage. Ich bin einer!

Noch nie habe ich den fünften Finger, den fünften Zeh vermisst. Es soll mir einer sagen, ich sei deswegen ungeschickter als andere. Und sehe ich etwa schlechter? Ägy hat ein braunes und ein blaues Auge. Niemand nimmt Anstoß daran. Und sollte sich morgen die Haarmode ändern, komme ich vielleicht groß heraus, wenn wenig Haar schick ist! Die Hauptsache ist doch wohl, dass Li mich mag — so wie ich aussehe, wie ich bin! Das wird Mutter akzeptieren müssen. Aber sicher ist nicht mein Aussehen der Grund für ihr Verhalten — nicht allein. Li wird schon recht vermutet haben.

Li hatte gemeint, Eifersucht könnte dahinterstecken, weil Mutter zu lange allein mit dem Sohn gelebt hatte, ziemlich abgekapselt von der Umwelt. Freilich, es sei für sie tragisch, in jungen Jahren den Gefährten verloren zu haben, mit dem man sich ein gemeinsames Leben erträumt hatte. Statt sich einen anderen Mann zu suchen, hatte sie sich auf den Sohn orientiert. Und nun, nach so vielen Jahren, in denen sich diese Haltung verhärtet hatte, wird ihr der Gedanke schwer, den Sohn möglicherweise mit einer anderen teilen zu müssen.

Mark litt unter dieser Situation. Seine Mutter und er lebten zurückgezogen. Er hatte zwar die Schule, den täglichen Kontakt zu den Mitschülern, aber Gefährte und Freund war ihm bislang stets die Mutter gewesen. Denn je älter Mark wurde, desto mehr nahm er in seiner Klasse eine Sonderstellung ein. Seine schnelle Auffassungsgabe, sein phänomenales Gedächtnis, gepaart mit Hilfsbereitschaft und Bescheidenheit, führten zu einer allgemeinen Achtung, ja beinahe Scheu, auf jeden Fall zur Dämpfung des altersgemäßen rüden Betragens der anderen ihm gegenüber. Nur im Sport brachte es Mark gerade noch auf durchschnittliche Leistungen. Hänseleien in den unteren Klassen hatte Mark längst verziehen. Sie waren es eigentlich gewesen, die seine Zuneigung zu Li ausgelöst hatten. Li hatte sich oft vor Mark gestellt, hatte Larry und andere geschickt in die Schranken gewiesen. Ihre besondere Zuneigung zu Mark wurde jedoch nicht offenkundig und sie so nicht Zielscheibe gut gemeinten Spotts. Als Mark es bemerkte, begann er ihr Tun zu beobachten. Zunächst belustigte es ihn, dann begann er Li zu bewundern. Er suchte die Nähe des Mädchens.“

Erstmals 2001 erschien im Westkreuz-Verlag Berlin/Bonn „Das ungleiche Königspaar. Der schiefe Fritz und die allerschönste Prinzessin. Märkische Miniaturen“ von Hans Bentzien: Die sechzehnjährige Prinzessin Sophie Charlotte heiratete im Jahr 1684 den brandenburgischen Kronprinzen Friedrich; eine der üblichen politischen Eheverbindungen. Die Hannoverschen Welfen wollten nun auch die Beziehungen zum Osten aufnehmen. Die ersten Kinderjahre verbrachte Sophie Charlotte im Hochstift Iburg (bei Osnabrück), bis die Familie in das Schloss Osnabrück zog. Manchmal wird sie schon auf Reisen mitgenommen, sieht den Rhein, als sie nach Holland mitfahren darf. Als Neunjährige erhält sie die Oberhofmeisterin von Harling als Erzieherin, eine Vertraute ihrer Mutter. Ebenso nachhaltig auf die Formung des Charakters mag der Aufenthalt bei ihrer Cousine Liselotte von der Pfalz am französischen Hof gewesen sein, die sich schon Gedanken machte, wie sie am besten verheiratet werden könne. Bildungsreisen sind das eine, der direkte Einfluss von Persönlichkeiten das andere wichtige Element der Erziehung. Es war ein Glücksfall, dass Gottfried Wilhelm Leibniz, der letzte Universalgelehrte in die Dienste des Herzoghauses von Braunschweig trat. Dieser Hof war durchaus nicht kleinstaatlich in seiner Lebenshaltung beschränkt. Der Herzog kannte sich aus im Gesellschaftsleben, selbst im ausschweifenden Venedig. Obgleich Katholik, stand er den religiösen Strömungen nicht borniert gegenüber und gab der Musik und dem Theater Raum. Allerlei höfisches Maskeradenspiel, eben das anspruchsvolle Plaisier, waren in Hannover gang und gäbe. Damit wuchs das Mädchen auf. Der brandenburgische Hof war calvinistisch-nüchtern geprägt, die Unterhaltung sehr beschränkt, denn aus prinzipiellen, religiösen Gründen galt die Welt als Jammertal, daher Theater, Ballett, Oper, lockere Belustigungen als verwerflich, wenn nicht gar als obszön. In diesem Sinn wurde Sophie Charlottes zukünftiger Mann erzogen, der allerdings keineswegs von seinem Vater Friedrich Wilhelm in seinen Neigungen ernst genommen wurde. Er war ja nur der Zweitgeborene. Sein älterer Bruder Karl Emil wurde auf die Thronfolge vorbereitet. Zwar wachsen die Brüder, Söhne aus der Ehe des Kurfürsten mit Louise Henriette, zusammen auf, doch Friedrich ist kränklich und hat einen Buckel. Seine Amme hatte in einer Kutsche nicht genug Obacht gegeben, der kleine Friedrich war vom Sitz gefallen und hatte sich einen Wirbelsäulenschaden, der nicht behandelt werden konnte, zugezogen. Er wurde von den frechen Berlinern daher der „schiefe Fritz“ genannt. Seine Behinderung beeinflusste ständig seine Stellung zur Umgebung, immer musste er sie kaschieren, immer war er in Gefahr, verspottet zu werden. Daher kam seine übertriebene Geltungs- und Prunksucht. Im folgenden Ausschnitt erfahren wir noch etwas mehr über das junge Kurfürstenpaar, wie sich die beiden kennengelernt hatten und ob sie sich überhaupt geliebt hatten. Oder spielte diese Frage überhaupt keine Rolle?

„Friedrich III. und Sophie Charlotte waren sich bereits 1681 in Bad Pyrmont und ein Jahr später in Berlin begegnet und hatten sich bei den üblichen Besuchen und Anlässen oberflächlich kennengelernt. Als aber nach dem Tod der ersten Gemahlin des damaligen Kurprinzen eine zweite, baldige Ehe in Betracht gezogen worden war, wurde auch nicht lange gezögert, und die üblichen Anbahnungen begannen. Das junge, erst sechzehnjährige Mädchen wird dabei nichts Entscheidendes geäußert haben, diese Eheverträge hatten politisches Gewicht und zielten auf eine engere Verbindung der beiden herzoglichen Häuser hin. Darüber waren die Mädchen aus der Aristokratie durch Elternhaus und Erziehung durchaus informiert, ihre erste Aufgabe bestand in der Zeugung vieler Nachkommen für den Gatten und sein Haus, und darunter sollten gefälligst viele Söhne sein. Über dieses Thema predigte auch der Berliner Hofprediger der Hochzeitsgesellschaft am 30. Oktober 1684 in Bezug auf die Bibel. Mit einem Wort aus der Genesis (24/46) wandte er sich an die junge Braut: „Du, unsere Schwester, werde Mutter von tausendmal Zehntausend! Deine Nachkommen sollen besetzen das Tor ihrer Feinde!“, was nichts anderes bedeutete, als die Aufgabe, das Haus Hohenzollern durch viele wehrhafte Männer zu stärken.

In diesem Bewusstsein lebte sie an der Seite ihres schiefen Fritz. Wenn sie ihn respektiert haben mag, geliebt hat sie ihn sicher nicht. Für die junge Dame mag hilfreich gewesen sein, die durch mannigfache prüde Anschauungen über das Intimleben erzeugten Hemmungen zu überwinden, die ihr der bereits eheerfahrene Gatte genommen haben mag. Aber sie sah auch späterhin den ehelichen Beischlaf nur als die Erfüllung einer verordneten Pflicht an. Friedrich besaß die Gewohnheit, sie zum Beilager zu rufen, indem er ihr ein Kissen überbringen ließ; erschien sie nicht sofort, schickte er weitere. Einmal klagte sie darüber, sie müsse nun wieder gehen, um ihre Existenz am Hofe zu rechtfertigen. Das Ergebnis der ehelichen Bemühungen erfüllten jedoch die Hoffnungen des Predigers aus der Hochzeitsrede nicht. Das Paar hatte nur drei Geburten zu verzeichnen. Der freudig begrüßte Erstgeborene starb bald nach der Geburt. Es folgte eine Totgeburt, und erst der Sohn Friedrich Wilhelm (geb. 1688) überlebte die schwierigen ersten Jahre, entwickelte sich dann aber gesund und blieb, immer gehütet, als Einzelkind die Hoffnung auf die Erhaltung der Hohenzollern-Familie.

Wir kennen die Ursachen für die Kinderarmut in der Familie des Kurfürsten nicht, entsprechende Berichte sind nicht überliefert. War die Gattin nicht in der Lage oder wollte sie keine weiteren Nachkommen gebären? Der Gatte und der Hof waren enttäuscht. Ihr Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl, das auf überdurchschnittlicher Bildung und ihrem Interesse an Philosophie, Naturwissenschaft und Kunst, Musik und Theologie beruhte, mag dazu geführt haben, dass sie sich, im Unterschied zu ihren in ähnlicher Lage befindlichen Geschlechtsgenossinnen nicht als Gebärmaschine sehen wollte, sondern ihre Erfüllung in geistigen Interessen suchte. Dazu kommt wohl auch eine kritische, gar spöttische Haltung zu ihrem Mann, der ihr nach körperlicher Statur und durch oberflächliche Interessen unterlegen war.

Es darf nicht übersehen werden, dass die höfische Kultur im 17. Jahrhundert auch in Deutschland, nicht nur in Frankreich, durchaus nennenswert gewesen ist. Hannover gehörte unbedingt zu den herausragenden Höfen, und die Kurfürstin hatte in ihrer Jugend, vielleicht unmerklich, einen Maßstab für ihre Lebensführung erhalten. Im Vergleich zu Berlin war der Hannoversche Hof eine Stufe näher an Versailles anzusiedeln. Die brandenburgische Familie erhielt davon einen handfesten Beweis während der Hochzeitsfeierlichkeiten im Oktober 1684 in Herrenhausen. Sie dauerten mehrere Tage an. Die wichtigen Gegenstände der Aussteuer und der Ausstattung für die Festlichkeiten waren aus Paris geordert worden, die Kleider für die ersten Damen, das Brautbett. Die Hochzeitskutsche war mit Seide ausgeschlagen und innen wie außen mit Goldstücken besetzt.“

Erstmals 1983 veröffentlichte Dietmar Beetz im Verlag Neues Leben Berlin als Band 177 der Reihe „Spannend erzählt“ seinen Roman „Oberhäuptling der Herero“: Die Handlung dieses spannenden Buches führt in das ehemalige Deutsch-Südwest-Afrika. Man schreibt das Jahr 1890. Im Hafen Walvisbaai wartet Assa Riarua, Großmann der Herero, auf Nikodemus, der per Schiff eine Ladung Waffen aus Kapstadt bringt. Assa soll den Transport auf dem gefährlichen Weg durch das Nama-Land geleiten. So hat es Samuel Maharero gewünscht. Aber will der Sohn des alten Maharero überhaupt, dass das Unternehmen ein Erfolg wird? Assa hat Zweifel, denn Samuel und Nikodemus sind zerstritten, sie streben beide nach dem Amt des Oberhäuptlings. Assa ahnt auch, dass hinter dieser Rivalität nicht nur Machtstreben steht. Die Deutschen beginnen sich im Hereroland einzunisten. Man sollte sie bekämpfen. Aber über das Wie und Wann sind Nikodemus und Samuel sehr unterschiedlicher Ansicht. Assa wird den Gedanken nicht los, dass die aufkeimende Feindschaft zwischen seinen beiden Freunden ihn selbst und sein Volk vor harte Belastungsproben stellen wird. Zu Beginn des dritten Kapitels sieht Assa erstmals die Deutschen:

„Sie kamen erst spät am Nachmittag, als die Sonne schon blutrot zum Horizont sank, zum Wasser, das noch immer still war, still, glatt und gleißend.

Ihre Kolonne kroch auf dem Baiweg heran, von Norden, vom Swakop her, von dort, wo sich der Fluss — zwischen den Regenzeiten nur ein sickerndes, brackiges Rinnsal — in der donnernden Brandung verlor, wo oft selbst tagsüber der Nebel kalt und zudringlich auf den Dünen lag, wo das Gebiet, das der deutsche Kaiser zu schützen vorgab, zusammenstieß mit dem Küstenstreifen um Walvisbaai, den die britische Kolonialmacht besetzt hielt.

Wahrscheinlich waren sie schon während der Nacht aufgebrochen in Swakopmund, vielleicht seit gestern Abend unterwegs gewesen auf der letzten Strecke hierher, zum einzigen größeren Hafen von Südwestafrika. Nun näherten sie sich der Siedlung, so schien es Assa, wie müde Krieger, die gezwungen sind, in einem feindlichen Kaff Quartier zu beziehen: schlaff — die Schultern in der erdbraunen Montur, nickend die Köpfe mit den breitkrempigen Hüten. Wie eine Rauchfahne über einer Brandspur folgte ihrem Zug ein Schweif aus Staub und feinkörnigem Sand.

So ritten sie vorbei am Felsen, wo Assa wie ein Späher auf Vorposten lag. Er sah die Gewehre, sah die verschwitzten, die finsteren Gesichter, ja selbst die Schnurrbartspitzen, roch den Schweiß der Pferdeleiber, spürte beinah die Schmitzen der Peitschen, mit denen die Bambusen, einheimische Treiber, unter Geschrei die Ochsen vor den schaukelnden Wagen in Gang hielten … Ihn selber bemerkte offenbar keiner.

Was wollen sie hier? fragte er sich. Zwei Ochsenwagen und dreizehn schwer bewaffnete Reiter — Geleitschutz für einen eigenen Transport oder eine Abteilung, die unsere Waffen beschlagnahmen soll? Ob sie mit den Engländern, ihren Rivalen, jetzt gemeinsame Sache machen?

Kaum war der letzte Ochsentreiber vorbei, glitt Assa vom Felsen herab. Sein Ausguck, von den anderen Herero belächelt, vielleicht sogar als Zuflucht durchschaut, als Stätte, wo ihr Gebieter sich vor den Attacken Onguvis in Sicherheit bringen konnte — heute bewährte er sich doppelt: von dieser Warte aus tauchte Assa gleichsam ein in den Schweif des Zuges, folgte ihm im Schutz des Staubes dicht hinter den Bambusen, hustend wie sie, und horchte auf jeden Ruf, jeden Laut.

Zunächst drang durch das Geflimmer nur Treibergeschrei, heiser, aufgeheizt von der Aussicht auf Rast. Dazwischen das Knarren der Räder, das Mahlen und Stampfen im Sand, das Schnaufen, Keuchen …

Plötzlich ein Kommando: „Achtung!“

Assa verstand den Befehl, da ihm von seiner Schulzeit bei den Missionaren her ein paar Brocken Deutsch noch geläufig waren, und er erinnerte sich auch an den Sinn der Worte „Haltung“ und „zeigen“, die er jetzt hörte. Den Rest überschwemmten die Geräusche, die sich verstärkten, als habe jenes „Achtung!“ sie aufgescheucht und angefeuert; Geschrei und Gebrüll von Treibern und Ochsen schwollen zu einer Woge an.

Da erschienen bereits hinter dem rötlichen Staubnebel drüben am Wasser die Lagerschuppen und links davon, auf der sanften Anhöhe, die ersten Häuser — davor, beiderseits des zerfurchten Weges, Gaffer, hellhäutige und schwarze. An der Gestalt und den Gesten erkannte Assa Onguvi und dann, in einigem Abstand von ihm, auch den Koch und die beiden Wächter.

Sie haben’s mitgekriegt und sind vor mir da — klar, von der Landzunge aus! Den Wagen in Stich lassen und vielleicht noch frohlocken: Wir waren schneller!

Finster verließ Assa den Schutz der Kolonne und trat zu seinen Leuten.

„Herr, die Ovirumbu — hier? Jetzt?“

Der Koch schaute ihn fragend an, fragend und ängstlich, und auch die anderen zwei blickten furchtsam und erwartungsvoll. Schräg über die Gasse, zwischen Reitern und Gaffern, kam wankend Onguvi herüber.

Auch der noch! dachte Assa. Was ihnen sagen? Wie sie beruhigen?

Vorerst wurde er einer Antwort enthoben; wieder erscholl ein Kommando, und alle erstarrten.

Schweigend, beinah reglos, standen die Versammelten, ausgerichtet die Reiter auf müden, schweifwedelnden Pferden, krumm und ein wenig bucklig die Reihe der Gaffer. An der Spitze der Truppe reckte sich der deutsche Hauptmann, jener, der auf dem Kamel geritten war; er hielt den Blick auf einen Mann gerichtet, offenbar einen hohen Beamten des Magistrats, der ernst und würdevoll auf ihn zuschritt.

Und da, als der Beamte stehen blieb und der Hauptmann zur Begrüßung die Hand hob — in diesem Moment, gleichsam auf dem Höhepunkt der Erwartungen, geschah etwas Unerhörtes.

Assa hatte mit Beklommenheit verfolgt, wie Onguvi neben ihn getreten war, und dann den Kahlkopf fast vergessen. Der Dunst von Schnaps erinnerte ihn zwar an den Widersacher, doch waren jetzt andere Gegner erschienen, schwer bewaffnete Feinde, gefährlich und — ja, auch beeindruckend.

Das verblüffte Assa zunächst: die Haltung der Reiter in den Sätteln, die Straffheit nach den Strapazen der Pad. Eben, als sie am Felsen vorbeizogen, wirkten sie noch erschöpft; nun schien die Schwäche überwunden, die Müdigkeit unterdrückt.

Sie beherrschen sich, dachte Assa; sie lassen sich nicht anmerken, wie fertig sie sind. Mit denen wird’s schwerer als mit dem dicken Gesandten. Wie herrisch ihr Hauptmann blickt!

Und plötzlich erinnerte sich Assa an einen anderen Deutschen, an Pastor Büttner, einen Missionar. Der saß zwar nicht hoch zu Ross und trug auch nicht die erdbraune Uniform, doch schaute er genauso gebieterisch drein — damals, vor mehr als zwanzig Jahren, im Augustineum zu Otjimbingwe.

Die Erinnerung an die Schule, die er gemeinsam mit Samuel, Nikodemus und anderen Söhnen von Häuptlingen oder Großleuten besucht, nach einer Wette, einem Streich aber vorzeitig, ungetauft und gezüchtigt verlassen hatte —, diese Erinnerung berührte Assa jetzt anders als sonst, verwirrend. Sollte, so fragte er sich, der Pastor ein Verwandter des Hauptmanns gewesen sein, ein Vorfahr, eine Art Ahn? Die gleiche Haltung, das gleiche Gebaren, die gleiche Handbewegung wie damals, bei der Begrüßung des Inspektors …

Schon glaubte Assa, er bekomme nun auch Worte wie einst zu hören, da ertönte in der Stille krachend, knatternd anderes: ein durchaus bekanntes, anstößiges Geräusch.

Die Hand, die zur hochgeschlagenen Hutkrempe fuhr, erstarrte.

Im nächsten Moment brach Gelächter los, jäh wie ein Aufschrei und ähnlich kurz. Erst das fast lautlose Lachen, das der Unterbrechung folgte, dem Schreck, als die Reiter das Gewehr von der Schulter rissen und — präsentierten, erst das Lachen danach dauerte länger.

Währenddessen nahm die Begrüßung ihren Lauf: Der Hauptmann schnarrte etwas, und der Beamte erwiderte in gleicher Weise …

Assa versuchte, den Sinn ihrer Worte zu erfassen. Vergebens. Er hatte Not, nicht loszulachen.“

Erstmals bereits 1982 erschien im Greifenverlag Rudolstadt ebenfalls von Dietmar Beetz der Kriminalroman „Mord am Hirschlachufer“: An einem sonnigen Septembertag des Jahres 1948 ist ein Mann „auf Hamstertour“ im Eichsfeld unterwegs. Aber es gibt noch andere Geschäfte, die ihn in das Dörfchen Ulmbach treiben … Der Großbauer Hugo Strauch weiß nur zu genau, warum er Schneiders Kommen fürchten muss. Als wenig später im nächtlichen Erfurt ein furchtbares Verbrechen geschieht, führen die Spuren nach dem weltabgeschiedenen Ulmbach -und zurück in eine dunkle Vergangenheit. Hier der Anfang dieses spannenden Krimis, wo scheinbar noch nichts Kriminelles geschieht, sondern nur die eher zufällige Begegnung von zwei jungen Frauen und einem Fremden:

„Fünfzehn Stunden und vierunddreißig Minuten vor dem Mord verließ ein Personenzug den Erfurter Hauptbahnhof. Er fuhr zunächst ostwärts, vorbei an zerbombten, notdürftig reparierten Industrieanlagen, und bog dann nach Nordwesten ab.

Es war ein sonniger Morgen, damals, Ende September neunzehnhundertachtundvierzig, ein sonniger Sonntagmorgen im vierten Jahr nach dem Krieg. Anna Kuwittke sah die Ruinen vor dem staubigen Fenster, Ruinen, rostrot, bewachsen mit gilbendem Gras, doch nahm sie auch den rosigen Schein wahr am dunstigen Himmel, das Rattern der Räder, das Stimmengewirr.

„So könnte ich tagelang fahren“, sagte sie. „Nichts tun, nur so dasitzen, schauen …“

„Was?“, fragte Herta Schramm, ihre Arbeitskollegin und Freundin, indem sie sich vorbeugte. „Was hast du gesagt?“

„Nichts. Nur …“ Anna wich dem Blick der mausgrauen Augen aus. „Nur, dass ein schöner Tag ist, und überhaupt …“

„Stimmt, das Wetter hält sich. Ein Glück, denn im Regen von Hof zu Hof gehn, von Dorf zu Dorf …“ Ihre Stirn, ihr ganzes Gesicht legte sich in Falten.

Anna nickte hastig und blickte rasch wieder weg. Sie fürchtete diese Kummermiene, die sie an ihr eigenes Spiegelbild, ihr eigenes Schicksal erinnerte, und heute mochte sie solche Gedanken weniger denn je. Einmal vergessen, dass der Mann gefallen war und nichts hinterlassen hatte als die beiden Kinder, die Erinnerung an ein paar Stunden Fronturlaub!

Witwe mit Anhang, ging es Anna durch den Kopf, und sie überlegte, ob sie nicht doch in der Zeitung annoncieren sollte: Junge Frau, sechsundzwanzig, brünett … Wieder fielen ihr die Kinder ein, und ihr Körper erschlaffte.

Doch dann fuhr sie auf und hielt den Atem an. Meint der mich? Starrt her wie … wie …

Da kniff der Mann ein Auge zu, breitete die Arme aus und hob bedauernd die Schultern. – Kann nicht. Du siehst ja …

Er stand im Gang zwischen den Sitzreihen, eingekeilt von anderen Reisenden und ihrem Gepäck; er überragte alle.

Der wär’ was, dachte Anna. Groß, kräftig, kaum älter als ich. Und wie die Zähne blitzen, wenn er lacht!

Unwillkürlich öffneten sich auch ihre Lippen, und ihr Rücken straffte sich noch mehr. Sie wusste, wie verführerisch das wirken konnte.

Und spürte im nächsten Moment Hertas Hand auf dem Arm. „Der ist nichts für dich. Wir, mit unserem Anhang …“ Sie brach ab, mitten im Satz und schüttelte den Kopf.

„Was du gleich denkst!“, versetzte Anna, indem sie die Hand fortstieß. „Was kann denn ich dafür, dass der mich die ganze Zeit schon anstarrt?“

Herta verzog den schmallippigen Mund. „Meinst du, ich hätte nicht bemerkt, wie du zurückgefunkt hast?“

„Na und?“ Anna zuckte die Schultern und schaute zum Fenster hinaus, über abgeerntete Felder und blaugrüne Baumgruppen zum blassblauen Himmel am Horizont.

Als ob man nicht selber wüsste, dass so einer nicht mehr zu haben ist! Nicht für immer. Wer von denen überlebt hat, liegt längst an der Kette.

Verstohlen warf sie einen Blick zu der Hand, mit der sich der Fremde an einem Gepäcknetz festhielt.

„Einen Ring hat er nicht. Jedenfalls nicht am Finger.“ Diesmal lächelte Herta, und versonnen fügte sie hinzu: „Hübsch ist er ja, alles, was recht ist. Ein Johannes Heesters, hübsch und gefährlich.“

„Johannes Heesters, dass ich nicht lache!“

Ein wenig verschämt fiel Herta ein, und wie auf Kommando verstummten beide.

So unzutreffend, fand Anna, war der Vergleich mit dem Filmhelden durchaus nicht, und doch wirkte er befremdend. – Ein „Bel ami“ und sie, zwei Näherinnen, hier, in diesem überfüllten Abteil, unterwegs, um Blusen und Hemden gegen Mehl und Speck einzutauschen …

„Ob er auch auf Tour ist?“, fragte Anna.

Herta, das Gesicht wieder in Falten, zuckte die Schultern und schwieg.

Und dann kreischten die Bremsen, und der Zug hielt an. „Mühlenau! Mühlenau!“ Der Rest der Ansage ging unter im Stimmengewirr der Reisenden.

Auch Anna und Herta hatten sich erhoben, um auszusteigen. Ihr Anschlusszug würde erst in einer Viertelstunde fahren, sodass sie in Ruhe ihre Rucksäcke aus dem Gepäcknetz nehmen konnten und sich nicht in das Gedränge zu stürzen brauchten.

Der Fremde, fiel Anna auf, war verschwunden.

Sie erblickte ihn auf dem anderen Bahnsteig wieder und wurde im selben Moment auch von ihm entdeckt. Die Freude auf seinem Gesicht war unverkennbar. Anna tat noch einen Schritt, rascher als sonst, blieb dann stehen und sah ihm entgegen, die Schultern mit den Rucksackgurten gereckt.

„Tag, die Damen! Schönes Wetter heut.“

„Könnte besser sein“, erwiderte Herta. „Sonst was — der Herr?“

Der Fremde entblößte die Zähne und wandte erst jetzt den Blick von Anna ab. Seine Lider verengten sich, doch um die Mundwinkel begann es zu zucken.

„Und ob!“, rief er. „Sogar eine ganze Menge!“

Die Falten auf Hertas Stirn wurden schärfer, während sie parierte: „Und was, wenn man fragen darf?“

Er schien diese Wendung angesteuert zu haben; denn nun genoss er die Situation: beugte sich nieder zu Herta und blinzelte Anna zu, dämpfte die Stimme und sprach doch laut genug, mit aufreizendem Grinsen: „Das, meine Dame, verrat’ ich erst später, heimwärts vielleicht.“

Es schwang eine Aufforderung mit, und prompt tat Herta enttäuscht.

Da fragte er, gespielt entrüstet: „Soll ich’s Ihnen etwa vormachen? Hier?“

Die Reaktion der Frauen – ein Lachen, spitz wie ein Schrei – wurde überdröhnt vom Lärm des einfahrenden Zuges. Sie verstummten und schwiegen noch, als sie bereits die Reise fortsetzten, zu dritt allein in einem Abteil.

Der Fremde verstaute ihr Gepäck und seinen eigenen Rucksack, der schlaff war und offenbar völlig leer.

„Auch hamstern?“, fragte er beiläufig, zerstreut.

Beide nickten, Anna erwartungsvoll und bang in einem. Sie lauerte auf das nächste Wort, die nächste Dreistigkeit und schreckte zugleich davor zurück.

Der Fremde aber schien die Frauen plötzlich vergessen zu haben. Die Lider schmal, verfolgte er, wie auf der Chaussee, die hier neben dem Schienenstrang verlief, ein Kraftfahrer mit dem Lokomotivführer um die Wette fuhr: Der „Opel“, alt und sicher klapprig, holte auf, meter-, dezimeterweise. Da schob sich ein Wiesenstück, eine Brücke dazwischen, und das Auto musste erneut ansetzen; doch schließlich lief der Zug auf einer Station ein, und der Fahrer zog hupend davon.“

Wir sich viel später herausstellt, hat der Fremde offenbar mehr mit Autos zu tun als man anfangs glaubt. Und ein angeblich nicht funktionierendes Auto spielt auch bei der zunächst mühsamen Aufklärung des Mordfalles eine wichtige Rolle. Besonders spannend an diesem Krimi von Dietmar Beetz ist die Tatsache, dass der Leser das Geschehen gleichzeitig von mehreren Seiten aus verfolgen und gewissermaßen selber mit ermitteln kann. Spannend bis zur letzten Minute. Und Johannes Heesters kommt nicht noch mal vor.

Die Lektüre wert sind aber auch das in Deutsch-Südwestafrika spielende zweite Buch von Dietmar Beetz, der Wissenschaftlich-phantastische Roman von Alexander Kröger sowie die Märkischen Miniaturen von Hans Bentzien. Sophie Charlotte, die wahrscheinlich nicht besonders glückliche Frau des „schiefen Fritz“ war übrigens die erste preußische Königin, die Mutter von Friedrich Wilhelm I., dem späteren Soldatenkönig, und damit auch die Oma vom Friedrich dem Großen. Ihren Enkel hatte sie allerdings nicht mehr kennengelernt, wurde er doch erst 1712 geboren. Sophie Charlotte, eine außerordentlich hübsche, gebildete und vielseitig interessierte Frau, war bereits 1705 im Alter von nur 36 Jahren gestorben. Sie sei auf ihren Tod vorbereitet, erklärte sie dem herbeigerufenen Priester ruhig.

Nicht vergessen: 23. und 24. November Buch Berlin im MOA Hotel 10559 Berlin Stephanstr. 41. Halle 2, Stand D11. Autoren sind ganz besonders zum Signieren und Diskutieren eingeladen.

Über die EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

EDITION digital war vor nunmehr 25 Jahren ursprünglich als Verlag für elektronische Publikationen gegründet worden. Inzwischen gibt der Verlag Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) sowie Kinderbücher gedruckt und als E-Book heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Bücher ehemaliger DDR-Autoren werden als E-Book neu aufgelegt. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, derzeit fast 1.000 Titel (Stand November 2019). Verlagsbestseller sind die Kriminalerzählung über das Gold der Templer „Das Jakobsweg-Komplott“ und die dreiteilige Edition „Das Gold der Templer“ von Ulrich Hinse sowie der Schwerin-Krimi „Die Tote im Pfaffenteich“ von Christiane Baumann.

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