Der Streit zwischen den „Ampel“-Parteien wurde wahrgenommen 

Der Krieg in der Ukraine bleibt zwar trotz der Turbulenzen in der deutschen Innenpolitik das für die Menschen wichtigste Thema (55 %); doch daneben wurden auch die Diskussionen um die „Energiewende“ und ihre Finanzierung (42 %) sowie deren Folgen für den Klimaschutz (21 %) und der wegen der Klimapolitik ausgelöste Streit zwischen den Koalitionsparteien (22 %) wahrgenommen.

Der „Ampel-Streit“ schürt die Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung 

Nach den langen Verhandlungen des „Koalitionsausschusses“ bemühten sich die drei Parteien der „Ampel“-Koalition, ein Ende des Streits zu verkünden und ein Bild wiedergefundener Harmonie zu vermitteln. Doch bei den Bürgerinnen und Bürgern verfängt das nicht: Die große Mehrheit von 84 Prozent der Bundesbürger geht laut einer von forsa für die WAZ durchgeführten Umfrage davon aus, dass der zum Teil heftig geführte Streit auch zukünftig anhalten wird. Davon sind auch 84 Prozent der Anhänger der SPD und der Grünen sowie 91 Prozent der FDP-Anhänger überzeugt.

82 Prozent aller Bundesbürger glauben laut aktuellem RTL/ntv-Trendbarometer auch nicht den Versicherungen des Kanzlers und seiner Koalitionäre, nach den beigelegten Streitigkeiten könne die „Fortschritts-Koalition“ mit dem bei der Koalitionsbildung versprochenen „Aufbruch“ und der „Erneuerung“ der Gesellschaft beginnen. Selbst 75 Prozent der SPD-, 80 Prozent der Grünen- und 82 Prozent der FDP-Anhänger meinen, dass die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung auch weiterhin durch Unstimmigkeiten zwischen den Koalitionsparteien beeinträchtigt werde. Mit seiner Einschätzung, die „Ampel“ sei „intakt und voll funktionsfähig“, steht der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert somit ziemlich allein da.

Die Hälfte der Bundesbürger hält den Kanzler für „führungsschwach“

Die eher bedächtige und von manchen als zu zögerlich bewertete Ukraine-Politik des Kanzlers wurde und wird von einer Mehrheit der Bundesbürger für angemessen und richtig gehalten. So befürwortet auch aktuell laut RTL/ntv-Trendbarometer nur eine Minderheit von 28 Prozent die Lieferung von Kampfflugzeugen der NATO an die Ukraine. Die Mehrheit von 64 Prozent (auch der Anhänger der SPD und der FDP) spricht sich dagegen aus. Lediglich bei den Anhängern der Grünen sind mehr für als gegen die Lieferung von Kampfflugzeugen. 

Doch das Agieren des Kanzlers in der Energiekrise und sein Verhalten im Koalitionsstreit und seine mantraartigen Verheißungen der Tatkraft seiner Regierung lassen viele Bürgerinnen und Bürger an seiner Führungskraft zweifeln. So teilt die Hälfte (51 %) der im aktuellen RTL/ntv-Trendbarometer Befragten die Einschätzung, dass der Kanzler „führungsschwach“ sei. Das meinen auch 41 Prozent der Anhänger der FDP und 45 Prozent der Anhänger der Grünen.

Der Streit in der Koalition schadet in erster Linie der SPD 

Nach den zwischen den drei „Ampel“-Parteien getroffenen Vereinbarungen sahen viele politische Beobachter und Medien die Grünen als Verlierer des Koalitionsstreits und vermuteten negative Auswirkungen für ihre Gunst bei den Wählern. Doch bei dieser Einschätzung wird außer Acht gelassen, dass beide derzeitigen Anhängergruppen der Grünen nicht in diesen Kategorien denken. Die zur homogenen postmaterialistischen „Wertegemeinschaft“ der „Alt“-Grünen zählenden Wahlberechtigten haben sich in ihrer Treue zu den Grünen noch nie von irgendwelchen Themen und Kontroversen der Alltagspolitik beeinflussen lassen. Und die Gruppe der „Neu“-Grünen ist auch nicht wegen irgendwelcher aktuellen Themen, sondern aus Frust über andere Parteien zu den Grünen gewandert. Im aktuellen RTL/ntv-Trendbarometer nach den Turbulenzen in der „Ampel“-Koalition bleibt deshalb der Wert für die Grünen mit 18 Prozent auch unverändert.

Für die FDP ist die Talfahrt in der Wählergunst zunächst beendet; ihr Wert hat sich nach den Vereinbarungen zwischen den Partnern der „Ampel“ um einen Prozentunkt auf 7 Prozent verbessert. 

Doch der SPD, die anders als die Grünen und die FDP über ein weniger homogenes, sondern immer noch ein heterogeneres Wählerpotential verfügt, hat das Koalitionsgerangel geschadet: Mit nur noch 18 Prozent liegen sie aktuell wieder gleichauf mit den Grünen und 11 Prozentpunkte hinter der Union mit unveränderten 29 Prozent. Die Union profitiert somit nicht von den Turbulenzen in der „Ampel“.

Die SPD verliert ihre einstmals breite Verankerung in der Wählerschaft

Viele ihrer früheren Wähler nehmen der SPD übel, dass sie nicht mehr wie zu ihren „Volkspartei“-Zeiten die Interessenvielfalt der Mehrheit der Gesellschaft in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt, sondern sich vornehmlich an ideologischen Dogmen oder den Interessen von Randgruppen orientiert. Dadurch hat sie auch ihre früher vorhandene Vertrauensbasis in Ländern und Kommunen verloren. 

Wie dramatisch dieser Vertrauens- und Bedeutungsverlust ist, zeigt das Beispiel Nordrhein-Westfalens eindringlich, wo die SPD heute nur noch über ein Viertel ihres noch bis Ende der 1990er-Jahre vorhandenen Wählerpotentials verfügt. Würde heute der Landtag in Düsseldorf gewählt, würde sie – wie eine aktuelle Erhebung von forsa im Auftrag der WAZ zeigt – nur noch von 11 von 100 Wahlberechtigten gewählt.

Von den in Nordrhein-Westfalen Befragten geben als Gründe für diese großen Vertrauensverluste der Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr an, die Partei wüsste nicht mehr, was die Menschen im Land bewegt und besorgt (das meinen 55 %), sie habe keine guten und attraktiven Politiker mehr (42 %), sie sei nicht mehr in der Lage , die Probleme im Land zu bewältigen (38 %) sowie sie kümmere sich zu sehr um die Interessen von Minoritäten und vernachlässige die Interesses der großen Mehrheit der Bürger (32 %). Die von der SPD selbst für das schwindendende Wählervertrauen behaupteten Gründe – die Wähler hätten die politischen Vorstellungen und Vorhaben der SPD nicht verstanden bzw. die Medien würden zu kritisch über die SPD berichten – machen nur 8 bzw. 9 Prozent der Befragten in NRW für die Vertrauensverluste verantwortlich. Und die in der politischen Diskussion oftmals erhobene Forderung, die Partei müsse „jünger“ und „weiblicher“ werden, halten nur ganze 3 Prozent für wichtig, um den Vertrauensschwund der SPD zu stoppen.

Ein kleiner Überblick über die Leistungsfähigkeit verschiedener Befragungsmethoden

Die herkömmlichen Befragungsmethoden der empirischen Sozialforschung, insbesondere telefonische Erhebungen, werden zunehmend kritisiert. Entsprechend wirbt auch das Berliner Start-Up-Unternehmen namens Civey damit, „Vorreiter für digitale Markt- und Meinungsforschung in Echtzeit“ mit „dem größten Online-Panel Deutschlands“ zu sein und „mit überlieferten Dogmen“ zu brechen. Civey-„Sofort-Umfragen“ würden „repräsentative Ergebnisse in kurzer Zeit“ bzw. schon „innerhalb weniger Stunden“ liefern. Doch mit Hilfe der „modernen Methoden – ohne Telefon“ von Civey scheint es nicht möglich zu sein, innerhalb von zwei Wochen Ergebnisse über die Wahlabsicht der Bremer Wahlberechtigten bei der bevorstehenden Wahl zur Bürgerschaft zu liefern. Seit der Entscheidung des Bremer Wahlausschusses am 23. März, die AfD nicht zuzulassen, verkündet nämlich Civey: Wir werden „in Kürze eine neue Wahlumfrage für Bremen online stellen“; bis dahin ist „die Anzeige von Echtzeit-Ergebnissen leider pausiert“.

Aber auch ein Vergleich der Erhebungsmethoden und der Befragungszeiten von Infratest dimap oder der Forschungsgruppe Wahlen (FGW) in anderen Bundesländern zeigt, dass telefonische Erhebungen, kombinierte Telefon- und Online-Erhebungen oder reine Online-Erhebungen auf Basis eines bevölkerungsrepräsentativen Online-Panels deutlich schneller durchgeführt werden können als die „Sofort-Umfragen“ von Civey. 

Zweifel an der Existenz des von Civey behaupteten Online-Panels mit mehr als einer Million aktiver Teilnehmer kommen zudem auf, weil bei dieser Panelgröße auch für ein kleines Bundesland wie Bremen rund 7.500 Teilnehmer für Befragungszwecke innerhalb kurzer Zeit zur Verfügung stünden.

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