Dr. Oliver Krone und Marc Engler vom Leibniz-IZW statteten im Zeitraum von 2004 bis 2016 insgesamt 24 juvenile Seeadler im Rahmen der Beringung, die üblicherweise zwischen 4 und 6 Wochen nach dem Schlüpfen stattfindet, mit GPS-Sendern aus. Das Ziel war, die Bewegungen der Tiere in der wichtigen Lebensspanne zwischen dem ersten Ausflug und dem Verlassen der Territorien der Eltern genau zu erfassen und zu analysieren. „Die jungen Seeadler verlassen im Durchschnitt im Alter von 72 Tagen zum ersten Mal das Nest für ihren Jungfernflug und im Durchschnitt weitere 93 Tage später das elterliche Revier“, fast Krone zusammen. In dieser Zeit sind die jungen Vögel sehr aktiv und unternehmen häufige Exkursionen vom Horst, die in Länge und Distanz stark variieren. Die Aktivität in dieser Phase variiert jedoch von Vogel zu Vogel sehr stark und beeinflusst den Zeitpunkt des Abschieds vom elterlichen Revier. „Je häufiger ein junger Seeadler Ausflüge macht, desto später verlässt er das Revier vollständig“, erklärt Marc Engler. Gleiches gilt auch für die Qualität dieses Revieres: Verfügt es über mindestens ein Gewässer, welches sich zur Jagd eignet, bleiben die Jungvögel fast vier Wochen länger bei den Eltern.
Beide Zusammenhänge deuten stark darauf hin, dass juvenile Seeadler möglichst lange im elterlichen Revier verweilen, insofern die Bedingungen dafür stimmen. „Kommt es zu mehr Störungen an einem Horst, können sich die jungen Adler nicht so häufig auf Erkundungsflüge begeben und scheinen gezwungen zu werden, früher abzuwandern“, schließen Krone und Engler. Im Mittel werden sie zwischen Ende Mai und Anfang Juli flügge, sodass der Zeitraum bis zur Abwanderung oft bis in den September oder Oktober hineinreicht. „Eine Verlängerung der Horstschutzzeiträume von um mindestens einen Monat ist daher ratsam, um Störung und frühzeitiges Abwandern von Jungvögeln im Horstbereich und damit mögliche negative Auswirkungen auf deren Überleben zu verhindern. Dies gilt insbesondere für das Land Mecklenburg-Vorpommern, wo ab Anfang August Waldarbeiten und auch Jagd um die Horste wieder aufgenommen werden können, wenn noch fast zwei Drittel der jungen Seeadler ihren Lebensmittelpunkt im elterlichen Horst haben.“
Intensive Schutzbemühungen in letzten 100 Jahren haben den Seeadler in Deutschland vor dem Aussterben bewahrt. Sie wurden in den 1920er Jahren unter Schutz gestellt, nachdem vor allem die Jagd die Bestände auf ein kritisches Level geschrumpft hatte. Mittlerweile ist die Seeadlerpopulation wieder auf ein stabiles Maß angewachsen. Derzeit gibt es rund 800 Brutpaare des Seeadlers in Deutschland, Hochrechnungen gehen von einem Potenzial von 1.200 Brutpaaren für Deutschland aus. Allerdings wirkt sich noch immer die Verwendung von bleihaltiger Munition bei der Jagd negativ auf die Seeadler aus, die im Winter die von Jägern hinterlassene Aufbrüche erlegter Tiere fressen. Zudem zeigte ein Team unter der Leitung von Oliver Krone, dass nicht nur maschinelle Forstarbeiten die Seeadler belasten, sondern auch Radfahrer und Fußgänger hormonelle Belastungssituationen verursachen. Sie maßen bei Seeadlern in Norddeutschland Konzentrationen des Hormons Corticosteron und seiner Stoffwechselprodukte und korrelierten diese Werte mit potenziellen Belastungsursachen. Sie fanden dabei heraus, dass die Werte des Hormons im Urin der Vögel höher sind, umso näher der Horst eines Brutpaares zu Wegen oder Straßen liegt. Diese Arbeit wurde im Oktober 2019 in der Fachzeitschrift „General and Comparative Endocrinology“ publiziert.
Publikationen
Engler M, Krone O (2021): Movement patterns of the White-tailed Sea Eagle Haliaeetus albicilla: Post-fledging behaviour, natal dispersal onset and the role of the natal environment. IBIS. doi: 10.1111/ibi.12967, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/ibi.12967
Krone O, Bailey LD, Jähnig S, Lauth T, Dehnhard M (2019): Monitoring corticoid metabolites in urine of white-tailed sea eagles: Negative effects of road proximity on breeding pairs. General and Comparative Endocrinology, 283. doi: 10.1016/j.ygcen.2019.113223, https://doi.org/10.1016/j.ygcen.2019.113223
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