Extremistische Gewalttäter zitieren oft Verse aus den heiligen Schriften ihrer Religion, die Angriffe auf Feinde des Glaubens erlauben, ja sogar vorschreiben. Auch der jetzt vor Gericht stehende Syrer Abdullah H., der im Oktober 2020 in Dresden ein homosexuelles Paar mit einem Messer niederstach und einen Mann tötete, sagte aus, dass er sich von einer Koran-Sure zur Tat habe inspirieren lassen. Ob die religiöse Motivation, die extremistische Gewalttäter hervorheben, tatsächlich ursächlich für deren Handeln ist, wird aber vielfach angezweifelt. Nun können die WZB-Forscher Ruud Koopmans und Eylem Kanol erstmals belegen, dass gewaltlegitimierende Verse in religiösen Schriften die Unterstützung für die Tötung von Glaubensfeinden steigern.

Gemeinsam mit der deutsch-kanadischen Politikwissenschaftlerin Dietlind Stolle entwarfen sie eine experimentelle Studie, für die sie 8.000 Christen, Muslimen und Juden in sieben Ländern (Deutschland, USA, Zypern, Libanon, Israel, palästinensische Gebiete und Kenia) die Frage stellten, ob sie tödliche Gewalt gegen Glaubensfeinde für gerechtfertigt halten oder nicht. Einer Hälfte der Befragten wurde die Frage unvermittelt gestellt, die andere Hälfte bekam zuerst ein Zitat aus der Bibel, dem Koran oder der Thora vorgelegt, in dem Gewalt gegen vermeintliche Glaubensfeinde gutgeheißen wird.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Verweis auf gewaltlegitimierende Schriftstellen in allen drei Religionen und in allen sieben Ländern die Unterstützung für tödliche Gewalt signifikant steigert (siehe Grafik). Allerdings war dieser Effekt unter Juden und Christen schwächer ausgeprägt als unter Muslimen. Über alle sieben Länder gerechnet, unterstützten 9 Prozent der christlichen Gläubigen Gewalt ohne und 12 Prozent mit vorherigem Bibelzitat. Unter jüdischen Gläubigen waren es 3 ohne bzw. 7 Prozent mit Thorazitat. Unter Muslimen befürworteten 29 Prozent Gewalt gegen Glaubensfeinde ohne und 47 Prozent mit vorangehendem Koranzitat. In Deutschland lagen diese Zahlen allerdings erheblich niedriger: Hier lag unter Christen die Gewaltunterstützung bei 2 ohne bzw. 3 Prozent mit Bibelzitat; unter Muslimen bei 5 ohne bzw. 16 Prozent mit Koranzitat (siehe Grafik).  

Der wichtigste Grund für die Unterschiede zwischen den drei Religionen, so zeigen die Forscher:innen, ist der größere Anteil muslimischer Gläubiger, die einer fundamentalistischen Glaubensauffassung anhängen. Fundamentalistische Gläubige zeichnen sich dadurch aus, dass sie die heiligen Schriften ihrer Religion wörtlich nehmen und auch in der Gegenwart für unverändert gültig halten. Deshalb sind sie im Vergleich empfänglicher für Versuche, Gewalt durch den Hinweis auf religiöse Schriftquellen zu legitimieren.

Die Befunde haben Bedeutung für die Bekämpfung des religiösen Extremismus. „Religiöse Ursachen und Motivationen müssen ernst genommen werden. Gewalt darf nicht nur auf sozioökonomische und psychologische Ursachen reduziert werden“, sagt Ruud Koopmans, Direktor am WZB. Die Aufgabe religiöser Führer und Verbände müsse es sein, fundamentalistischen Glaubensauslegungen aktiv entgegenzutreten und für eine Interpretation zu werben, die den historischen und gesellschaftlichen Kontext beachtet.

Die Studie ist im Journal of Ethnic and Migration Studies erschienen: Scriptural legitimation and the mobilisation of support for religious violence: experimental evidence across three religions and seven countries

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