Was machen immer noch viele, bevor sie in einen Video-Call gehen? Nichts. Also manchmal haben sie gerade noch schnell ein sauberes Hemd oder eine saubere Bluse angezogen. Aber meistens sind sie untenrum gemütlich und oben ein bisschen schick. Da sitzen sie nun zuhause, auf ihrem Sessel oder Sofa, einen Kaffee in der Hand, manche kauen sogar noch, flauschige Hausschuhe an den Füßen, Jogginghose – im Sommer auch Shorts –und drücken auf den Link „Meeting starten“. Und plötzlich ist es ein richtiges Meeting. Sie müssen verhandeln. Es geht um Budgets, um Jobs und womöglich das Überleben der Firma. Sie beginnen zu schwitzen – und auf einmal fühlen sich Hausschuhe ziemlich deplatziert an.

Videocalls lullen uns leicht in ein falsches Gefühl von Bequemlichkeit ein. Selbst wenn sich die Bügelfalten-Geschäftsmode nicht erst seit Corona deutlich gelockert hat, ist es durchaus sinnvoll, auch während einer Online-Veranstaltung unten zumindest einigermaßen ordentliche Hosen oder Röcke anzuziehen. Denn das Tragen von etwas offiziellerer Kleidung lässt uns am Bildschirm nicht nur kompetent und selbstbewusst wirken, sondern bewahrt uns auch vor möglicherweise peinlichen Situationen. Wenn wir zum Beispiel, ohne nachzudenken, plötzlich aufstehen, um eine fehlende Unterlage zu holen…

Auch darum hat sich unsere Einstellung zu unserer Kleidung durch das Arbeiten im Home-Office innerhalb des letzten Jahres gewandelt: Antonella Giannone, Professorin für Modesoziologie an der Weißensee-Kunsthochschule Berlin hat beobachtet, dass sich etwas tut. Weg von der Jogginghose hin zu insgesamt etwas repräsentablerer Kleidung. Einerseits, um uns in der häuslichen Umgebung wenigstens etwas unserer beruflichen Rolle anzunähern. Aber auch, um unsere körperliche Präsenz zu verstärken und zu kompensieren, dass wir „nur“ auf dem Monitor sichtbar sind.

Wir tendieren dazu, die Bedeutung von Kleidung generell zu unterschätzen. Dabei ist es schon lange durch diverse Studien wissenschaftlich belegt, dass formellere Kleidung beim abstrakten Denken und bei der Konzentration hilft. Aber durch das Arbeiten zu Hause suchen wir unsere Kleidung nach anderen Kriterien aus – Ästhetik und Formalität spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. Zudem bieten unsere (Sitz-)Möbel zuhause Spielraum für ganz andere Positionen und Bewegungen als die Möbel im Büro. So bevorzugen manche den Schneidersitz oder ziehen vielleicht auch mal ein Bein hoch. In einem Rock oder einer engen Hose geht das nicht. Deshalb greifen wir zuhause vermehrt zu bequemen Kleidungsstücken, gern auch mit elastischem Gummibund – was noch vor ein paar Jahren ausschließlich bei Kleidungsstücken für ältere Leute zu finden war – und nicht einmal im Second Hand Shop genommen wurde…

Übrigens haben Farben oft eine andere Wirkung am Monitor als in Präsenzveranstaltungen. Da vielen keine gute Kamera zur Verfügung steht, wirken fast alle dunklen Farben wie Anthrazit, Blau, Grün oder Aubergine in Online-Settings schwarz. Wer sich abheben möchte, sollte daher eher auf etwas intensivere, leuchtende Farben setzen. Und Vorsicht mit jeder Art von Mustern auf Hemden, Blusen, Kleidern oder Jacken: Sie lassen das Bild flimmern und führen zu Interferenzen.

Spannend ist auf jeden Fall, was nach der Krise kommt. Manche haben zuhause einige Kilos zugenommen, andere wiederum waren unentwegt Joggen. Viele werden nicht mehr in ihre gewohnte Bürokleidung passen. Und die interessante Frage ist: Hält dann die Home-Office-Lässigkeit Einzug ins Büro oder sehnen sich alle wieder nach der alten „Normalität“? So oder so, egal, für welchen Look wir uns entscheiden, jeder Kleidungsstil wirkt immer nur dann überzeugend, wenn die Qualität der Materialien stimmt. Und das wird sich nicht ändern.

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