Der Einsatz von Qualitätsschrott spielt beim Transformationsprozess der Stahlwerke zu CO2-neutralen Herstellungsverfahren eine zunehmend wichtige Rolle. In der Diskussion befindliche EU-Gesetzesänderungen für mögliche Schrottexportbeschränkungen könnten in Zukunft zu einer Verknappung dieses wichtigen Sekundärrohstoffs führen. Dies machten Experten auf dem bvse-Branchenforum am 17. Juni deutlich.

Schrotteinsatz punktet bei CO2-mindernden Transformationsprozessen in der Stahlindustrie

Wegen der europäischen Zielsetzung zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 haben die Stahlwerke mit Hochdruck begonnen, ihre Prozesse schrittweise auf zukunftsweisende CO2-neutrale Herstellungsprozesse umzustellen. Unter anderem verlässt die Branche die klassische Hochofenroute (BF/BOF), die enorme Mengen an CO2 erzeugt, und elektrifiziert ihre Verfahren. Innovative Prozessrouten und Übergangstechnologien werden getestet und etabliert, erklärte Dr.-Ing. Markus Dorndorf, Vice President Eisen und Stahlerzeugung bei Tenova Deutschland, auf dem Forum Schrott im bvse, das im Rahmen des diesjährigen bvse-Branchenforums im digitalen Zoom-Format stattfand.

Neben den Elektrostahlwerken, die Stahl hauptsächlich durch das Einschmelzen von Stahlschrotten produzieren, kommen anstelle der klassischen Hochofenroute zunehmend wasserstoff- oder erdgasbasierte Direktreduktions-Verfahren zum Einsatz. Hierbei wird aus Eisenerz zunächst Eisenschwamm (Direct Reduced Iron (DRI) bzw. Hot Briquetted Iron (HBI)) erzeugt, welcher im sich anschließenden Elektrolichtbogenofen bzw. alternativen Schmelzaggregaten zusammen mit Schrott oder anderen Eisenträgern zu Rohstahl erschmolzen wird.

Im Vergleich zur klassischen Hochofenroute wird der CO2-Ausstoß bei diesen Verfahren erheblich reduziert. Die Durchschnittswerte im Technologievergleich zeigen, dass die schrottbasierte EAF-Route rund 75 Prozent des im Vergleich zur konventionellen Hochofenroute (BF/BOF) erzeugten CO2 einspart und die DRI-Route (erdgasbasiert) rund 50 bis 60 Prozent. Mit dem Einsatz von Wasserstoff in der Direktreduktion verstärkt sich der Einspareffekt nochmals deutlich, erklärte Anlagenexperte Dorndorf, dessen Unternehmen bereits mehrere internationale Technologietransformations-Projekte mit Stahlherstellern entwickelt und umsetzt.

Der Fokus der Industrie beim Strategie- und Technologiewechsel auf CO2-Ausstoß-vermeidende CDA-Verfahren (Carbon-Direct-Avoidance) liege unverändert auf höchsten Produktqualitäten bzw. -Güten, maximaler Flexibilität bei den Einsatzstoffen sowie einer kontinuierlichen und energieeffizienten Prozessführung, um Kreislaufprozesse zur Ressourcenminimierung ökonomisch zu gestalten, machte Dorndorf deutlich.

Mit seinen positiven umweltrelevanten Eigenschaften leistet der Stahlschrott einen wichtigen Beitrag für die grüne Stahlproduktion – und seine Bedeutung im Stahlherstellungsprozess wird weiter anwachsen. „Durch die technologischen Umstellungen wird in Zukunft der Bedarf an Schrott steigen, der auch im Mix mit anderen Eisenträgern, wie beispielsweise aus Direktreduktions-Prozessen, Stahl höchster Güte erzeugt“, prognostizierte Dorndorf.

Das Stahlwerk der Zukunft – eine Recyclinganlage?

Das Stahlwerk der Zukunft kann dabei auch die Rolle eines ganzheitlichen Recyclingsystems übernehmen, bei dem neben Stahl weitere Materialien (z. B. Nichteisenträger) separiert und ausgeschleust werden. Entsprechende Recyclinganlagen sind bereits vorhanden. Erste Überlegungen von Stahlwerken, die Aufgabe der Schrottaufbereitung zu hochqualitativen Schrotten im eigenen Werk vorzunehmen, werden bereits vorgenommen oder befinden sich in der Planung, gab Dorndorf zu Bedenken. Hier muss sich die Schrottwirtschaft entsprechend aufstellen und reagieren.

Verunreinigungen und mangelnde Verfügbarkeit könnten zum Problem werden

Zum Problem könnten zunehmend sinkende Schrottqualitäten in Bezug auf Dichte, Fe-Gehalt sowie die mangelnde Verfügbarkeit an hochwertigen Schrotten werden, fürchtet der Anlagenexperte. Zudem leidet die Stahlerzeugung unter dem steigenden Anteil an unerwünschten Begleitelementen bzw. Verunreinigungen, wie beispielsweise Kupfer, Chrom, Nickel oder Molybdän, die den Stahlherstellungsprozess, und hierbei speziell sekundärmetallurgische Prozesse, aufwändig macht bzw. nur über eine Verdünnung mit DRI/HBI die gewünschten Qualitäten erzeugt werden können, so Dorndorf.

„Die Anforderungen der Stahlwerke an die Recyclingwirtschaft in Bezug auf Menge, Qualität und Reinheit der gelieferten Schrotte werden in Zukunft zunehmen. Die Schrottwirtschaft wird weiter in ihre Anlagen zur Verarbeitung von Schrott investieren müssen, um die von der Stahlindustrie geforderten Schrottqualitäten bereitstellen zu können“, hob Dorndorf hervor.

Dorndorf machte zudem deutlich, dass langfristig betrachtet die Schrottverfügbarkeit bei der Umstellung auf CO2-neutrale Verfahren nur etwa 50 % des Bedarfs der Stahlhersteller an Eisenträgern abdecken wird.

Handelsbarrieren im internationalen Warenverkehr drohen

Die Dekarbonisierung wird einen großen Nachfrageanstieg nach aufbereitetem Stahl in Europa hervorrufen, bestätigte ebenfalls Marktentwicklungsexperte Olivier Francois (Galloo-Group). Gleichzeitig schaut er mit Sorge auf drohende Handelsbeschränkungen durch angedachte Abfallexportbeschränkungen in der anstehenden Novellierung der EU-Abfallverbringungsverordnung.

In der Diskussion der EU-Kommission um Exportbeschränkungen für Abfälle wird qualitativ hochwertiger und weltweit gehandelter Sekundärrohstoff Stahlschrott mit minderwertigen Mischabfällen, die Umwelt- und Gesundheitsprobleme in Drittländern verursachen könnten, gleichgesetzt. „Das macht keinen Sinn“, so der Experte.

Eine Lösung für das zukünftige ökonomische Entwicklungspotenzial von Stahlschrott sieht der Galloo-Markentwicklungsexperte zum einen in einem Ende der Abfalleigenschaft für den hochwertigen Sekundärrohstoff (Produktstatus), für den der Export durch die Kommission nicht eingeschränkt werden kann. Zum anderen in der Forcierung von CO2-Reduktionszielen mit Erhöhung des CO2-Preises als Lenkungsmittel dafür, dass die Stahlindustrie mehr hochwertigen Stahlschrott in der Produktion einsetzt.

Rückgang von Sammel- und Recyclingraten durch willkürliche Verknappung in regionalen Märkten

Negative Folgen für den internationalen Schrottmarkt durch EU-Exportbeschränkungen sieht auch der Mitbegründer und Geschäftsführer von Navigate Commodities, Atilla Widnell. Sein Unternehmen erforscht mit Hilfe von Big Data Massengüterströme und bildet diese ab, um verbesserte Markteinblicke zu ermöglichen und Entscheidungshilfen anzubieten. Ein durch Warenverkehrsbeschränkungen künstlich verknappter, auf Europa beschränkter Markt für Eisenschrott, könnte zu niedrigen regionalen Preisen und damit zu sinkenden Sammel- und Recyclingraten mit schlechterem Qualitätsniveau führen, warnte Widnell. Außerdem würden solche Maßnahmen Gegenreaktionen derjenigen hervorrufen, die auf die Schrottimporte angewiesen sind.

bvse fordert freien internationalen Handelsverkehr für Schrott

Der bvse-Vizepräsident und stellvertretende Fachverbandsvorsitzender für den Bereich Schrott, Sebastian Will, unterstrich noch einmal die immense Bedeutung eines ungehinderten Warenverkehrs für die internationale Handelsware Metallschrott.

„Unser Rohstoff wird auf der Basis nationaler und internationaler Standards gehandelt. Sobald der Preis, der sich international bildet, seiner Lenkungsfunktion beraubt wird, gehen Sammel- und Aufbereitungsleistung zurück“, machte Will deutlich.

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