Der jordanische König Abdullah II. ist diese Woche auf Europa-Reise. Neben Österreich, Polen und Großbritannien macht er auch in Deutschland Station, wo er am Mittwoch von Bundeskanzlerin Merkel empfangen wird. Außerdem ist eine Teilnahme an der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow geplant. Unser Büroleiter in Amman, Dr. Edmund Ratka, beantwortet dazu die wichtigsten Fragen.

Innerhalb der letzten Dekade hat Deutschland seine Entwicklungszusammenarbeit mit Jordanien stark erhöht. König Abdullah und Kanzlerin Merkel pflegen einen engen Austausch. Welche Bedeutung hat Jordanien für die deutsche Nahostpolitik?

Inmitten einer krisen- und konfliktgeschüttelten Region bietet Jordanien Stabilität und Sicherheit. Von Jordanien aus operieren mehrere NATO-Staaten im Kampf gegen terroristische Gruppen in Syrien und im Irak, unter anderem die Bundeswehr ist dort stationiert. Das Land ist seit Jahrzehnten Zufluchtsort für Menschen aus den Nachbarländern. Es hat Palästinenser, Iraker und seit 2011 hunderttausende Syrier aufgenommen. Zugleich kann Jordanien, das sowohl einen Friedensvertrag mit Israel hat als auch gute Beziehungen zur palästinensischen Führung unterhält, zum Abbau von Spannungen im Nahost-Konflikt beitragen. Auch die historische und bis heute weithin anerkannte Rolle des haschemitischen Königshauses bei der Verwaltung der muslimischen Stätten auf dem Tempelberg in Jerusalem macht Jordanien in diesem für die deutsche Außenpolitik wichtigen Themenfeld zu einem unverzichtbaren Gesprächspartner.

Das Bild Jordaniens hat zuletzt Kratzer bekommen. Im Frühjahr machte eine vereitelte Palastrevolte, an der auch der Halbbruder des Königs beteiligt gewesen sein soll, internationale Schlagzeilen. Im Demokratie-Ranking von Freedom House wurde Jordanien 2021 auf „nicht frei“ zurückgestuft. Wohin bewegt sich das Land?

Die innenpolitischen Spannungen in Jordanien haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Durch die Corona-Pandemie und ihre Folgen, wie der Einbruch im Tourismus-Geschäft, verschärfte sich die ökonomische Schieflage. Laut einer Weltbank-Studie sind mittlerweile die Hälfte aller jungen Jordanier ohne Job. Gleichzeitig haben sich Räume für kritische Diskussionen und politische Beteiligung verengt. Auf persönliche Initiative des Königs sollen diese nun wieder erweitert werden. Ein von ihm eingesetztes Reformkomitee hat Vorschläge erarbeitet, wie das Wahl- und Parteiengesetz verändert werden kann, um die Zusammensetzung des Parlaments repräsentativer zu gestalten und die Herausbildung einer lebendigen Parteienlandschaft zu fördern. Entscheidend wird sein, ob die Umsetzung dieser Reformideen gelingt und damit ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft verhindert werden kann. Zugleich müssten rasche Erfolge beim Kampf gegen Korruption sichtbar werden, um das Vertrauen der Jordanier in die staatlichen Institutionen zurückzugewinnen. Noch hat Jordanien die Chance mit einer breiteren, politischen und sozio-ökonomischen Teilhabe den Weg einer „behutsamen“ Modernisierung einzuschlagen. Zugleich wird das haschemitische Königshaus auch in Zukunft eine wichtige Klammer bleiben, welche die verschiedenen Segmente der Bevölkerung zusammenhält.

Neben seinen Besuchen in den USA und jetzt in Europa ist König Abdullah II. in den letzten Monaten auch in viele arabische Hauptstädte gereist. Was bezweckt Jordanien mit seiner diplomatischen Offensive?

Nach dem Abtritt von Trump und Netanjahu, die in ihrer Nahost-Politik die Interessen Jordaniens weithin ignoriert hatten, sieht sich das haschemitische Königreich auf der regionalen und internationalen Bühne wieder im Aufwind. Es hofft auf eine Stabilisierung seiner Nachbarschaft und möchte die regionale Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten vorantreiben – gerade auch aus ökonomischen Gründen. Die Bürgerkriege in Irak und Syrien, zwei traditionelle Handelspartner des Landes, waren Tiefschläge für die jordanische Wirtschaft. Nun möchte man mit beiden Ländern wieder stärker ins Geschäft kommen. Unter anderem ist der Aufbau einer Industrie- und Freihandelszone in der jordanisch-irakischen Grenzregion sowie der Bau einer Öl-Pipeline aus dem südirakischen Basra in die jordanische Hafenstadt Aqaba geplant. Jordanien forciert außerdem eine Wiederannäherung an das Assad-Regime in Syrien. So einigte man sich vor kurzem beispielsweise über die Aufnahme von Direktflügen zwischen Damaskus und Amman. Hier besteht also ein Interessengegensatz zu Jordaniens Partnern in Europa, die eine Normalisierung mit dem syrischen Regime nach wie vor ablehnen. Schließich möchte Jordanien im Rahmen einer „Die Neue Levante“ genannten Initiative die trilaterale Zusammenarbeit mit Irak und Ägypten stärken, gerade im Energiebereich. Inwieweit sich dies in handfesten Projekten niederschlägt, muss sich erst noch zeigen. Doch fest steht: Der Nahe und Mittlere Osten ordnet sich neu. Und Jordanien möchte dabei eine aktive Rolle spielen.

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