Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind aktuell weltweit rund 50 Millionen Menschen an Demenz erkrankt. Jedes Jahr kommen fast zehn Millionen neue Fälle dazu. Die Gesamtzahl der Menschen mit Demenz wird auf 82 Millionen im Jahr 2030 geschätzt. Wirksame Medikamente zur Heilung einer Demenz sind derzeit nicht in Sicht, umso wichtiger ist eine bestmögliche Prävention. Anlässlich des Welt-Alzheimertages unter dem Motto „Demenz: Einander offen begegnen“ stellt der neue Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie, Dr. med. Karsten Henkel, die neue Leitlinie der WHO zur Demenzprävention vor.

Vor zwei Jahren hat die WHO auf der Weltgesundheitskonferenz einen Aktionsplan vereinbart, um auf die drohende „Demenzepidemie“ zu reagieren. Ein Bestandteil der 2019 veröffentlichten Leitlinie ist die Demenzprävention. Im Interview veranschaulicht Dr. Henkel, Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie des Klinikums Christophsbad und Leiter des Referats Sportpsychiatrie und -psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, die aktuelle Leitlinie sowie den gezielten Einsatz von körperlichem Training.

„Es ist ideal, dass wir mit Herrn Chefarzt Dr. Henkel, seinen Schwerpunkten und Zusatzqualifikationen in den Bereichen neurodegenerativer Erkrankungen und Sportpsychiatrie genau den Experten mit der richtigen Expertisenpalette für den stetig wachsenden Bedarf in der Gerontopsychiatrie, einschließlich der zunehmenden Zahl an Demenzkranken gewinnen konnten“, sagt Bernhard Wehde, Geschäftsführer (Sprecher) des Klinikums Christophsbad.

Herr Dr. Henkel, wie können wir uns vor Demenz im Alter schützen?

„Das Alter ist zwar der stärkste bekannte Risikofaktor für die kognitiven Einschränkungen, Demenz ist aber keine natürliche oder unvermeidliche Folge des Alterns. Neuere Studien zeigen deutlich einen Einfluss des Lebensstils auf Abbauprozesse im Gehirn. Zu diesen prinzipiell veränderbaren Risikofaktoren gehören ein inaktiver und sitzender Lebensstil, der Konsum von Tabak und übermäßigen Kalorien sowie schädlicher Alkoholkonsum. Außerdem sollten Diabetes, hoher Blutdruck und Fettstoffwechselstörungen gut ärztlich behandelt werden.“

Herr Dr. Henkel, welche Auswirkungen hat körperliche Aktivität auf die Leistung unseres Gehirns?

„Körperliche Aktivität führt auf verschiedenen Wegen zu einem positiven Einfluss auf das Gehirn und unsere Psyche. Biologische Prozesse betreffen unter anderem Veränderungen in der Konzentration von Botenstoffen wie Serotonin und Noradrenalin im Gehirn. Das Immunsystem und die Stresshormone werden günstig beeinflusst. Ein wichtiger Mechanismus ist die Ausschüttung von Nervenwachstumsfaktoren, die zu einer Nervenzellneubildung und -verknüpfung gerade in Regionen, die für Emotionen und Gedächtnisleistungen zuständig sind, führen kann. Auch immunmodulatorische Effekte spielen eine Rolle. Daneben sind aber auch Einflüsse auf die Blutversorgung des Gehirns, wie die Gefäßneubildung, und psychische Effekte körperlicher Aktivität von Bedeutung.“

Herr Dr. Henkel, welche Verbindung besteht zwischen Sport und Psychiatrie? Und welche Aktivitäten empfehlen Sie?

„Die Wirksamkeit von Sport ist bei bestimmten Formen von Angsterkrankungen und insbesondere bei der Therapie von Depressionen nachgewiesen und wird in aktuellen Leitlinien empfohlen. Selbst bei Psychosen wurde eine Wirksamkeit dargelegt. Bei der leichten kognitiven Störung wurden positive Effekte auf Gedächtnisfunktionen erzielt. Bei bereits eingesetzter dementieller Entwicklung kann eine Verbesserung der Alltagsfunktionen erreicht werden.

Die optimale Dosis ist wahrscheinlich individuell verschieden. Ein guter Anhaltspunkt sind die bestehenden WHO-Empfehlungen, wonach körperlich ausreichend gesunde Menschen, auch über 65 Jahren, mindestens 150 Minuten pro Woche moderat oder 75 Minuten intensiver trainieren sollten. Aber auch schon geringere Intensitäten haben Effekte. Als geeignet wird aerobes Ausdauertraining kombiniert mit Krafttraining oder ein Multikomponententraining erachtet.“

Herr Dr. Henkel, wie lassen sich die Empfehlungen in die Versorgung umsetzen und wie behandeln Sie an Demenz erkrankte Menschen im Klinikum Christophsbad?

„Bereits seit 2005 besteht am Christophsbad eine Gedächtnissprechstunde als ambulante Anlaufstelle für alle Patienten ab dem 40. Lebensjahr, bei denen subjektive oder von Angehörigen bemerkte Gedächtnisstörungen bestehen. Hier finden eine spezialisierte Diagnostik und Behandlung statt. Daneben haben wir 77 stationäre Planbetten für stärker Betroffene in der Klinik. Wir wissen, dass die meisten psychischen Erkrankungen durch mehrere Faktoren ausgelöst werden und somit multimodale Therapieansätze erfordern. Neben medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung sollte daher u.a. auch das therapeutische und präventive Potential körperlichen Trainings ausgeschöpft werden. Hierzu kommen unter anderem Ergometer aber auch Sport- und Physiotherapie oder Wandern zum Einsatz. Im ambulanten Bereich bietet sich auch der Einsatz von Rehasport an. Neben biologischen Behandlungsverfahren spielen auch milieutherapeutische Ansätze eine zunehmende Rolle. Wir sind sehr daran interessiert, integrative Konzepte weiterzuentwickeln, die zum Beispiel auch die Verknüpfung von psychotherapeutischen Interventionen und körperlicher Aktivität zum Inhalt haben.“

Über Dr. med. Karsten Henkel

Dr. med. Karsten Henkel ist seit dem 1. Juli neuer Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Neurologie ist zudem Geriater. Seine Zusatzqualifikationen in den Bereichen Gerontopsychiatrie, spezielle Schmerztherapie, suchtmedizinische Grundversorgung und Sportpsychiatrie passen exakt zu seinem Verantwortungsbereich im Klinikum Christophsbad. Sein Vorgänger im Amt, Prof. Dr. med. Walter Hewer, wird weiterhin für das Klinikum Christophsbad tätig sein.

Dr. Henkel hat Medizin an der Georg-August-Universität Göttingen studiert und promoviert. Er war als Arzt in Göttingen, Ulm, Günzburg, Kiel und Aachen beschäftigt. Zuletzt arbeitete Dr. Henkel als Oberarzt in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Uniklinik RWTH Aachen, wo er auch weiterhin als Gastwissenschaftler tätig ist. Durch seinen Werdegang verfügt er über langjährige Erfahrung im gesamten Gebiet der Neurologie, Psychiatrie und Geriatrie. Einen besonderen Schwerpunkt in seiner Arbeit bildet die Sportpsychiatrie, so ist er Leiter des Referats Sportpsychiatrie und -psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN).

Schwerpunkte seiner Arbeit in der Klinik für Gerontopsychiatrie im Christophsbad werden sein: Diagnostik und Behandlung von Gedächtnisstörungen und damit verbundenen neurodegenerativen Erkrankungen sowie von affektiven Störungen. Besonderer Berücksichtigung finden zudem Schmerzsyndrome. Ziel ist zudem der Einsatz von körperlichem Training als Therapieoption.

Über die Christophsbad GmbH & Co. Fachkrankenhaus KG

Das Klinikum Christophsbad in Göppingen ist ein modernes Akutplankrankenhaus für Neurologie einschließlich regionaler Stroke Unit, Frührehabilitation und Schlaflabor, für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit einer über 167-jährigen Tradition. Es besteht, zusammen mit der geriatri-schen Rehabilitationsklinik in Göppingen und der orthopädischen Rehaklinik Bad Boll, aus 8 Kliniken mit ambulan-ten, teil- und vollstationären Bereichen.
Angegliedert an das Klinikum ist das Christophsheim, ein spezialisiertes Wohnheim für psychisch sowie neurolo-gisch kranke Erwachsene. Die vier Standorte des Unternehmens befinden sich in Göppingen, Geislingen und Bad Boll, sowie mit der Privat-Patienten-Klinik, dem Zentrum für psychische Gesundheit MentaCare, in Stuttgart. Die spezialisierte Klinikgruppe und das Christophsheim bilden mit über 960 Betten/Plätzen, das Dach für rund 1.650 Mitarbeiter. Das Unternehmen ist nach KTQ (Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen) zerti-fiziert.

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