Der Biochemiker Oliver Bruns will die Bildgebung in der Krebschirurgie mit einer neuartigen Methode revolutionieren. Mit kurzwelligem Infrarotlicht, fluoreszierenden Farbstoffen und modernsten Kameras könnte es zukünftig möglich sein, während einer Operation einzelne Krebszellen an Tumorrändern und in Lymphknoten zu erkennen. Der Wissenschaftler und sein Team forschen im Grenzbereich von Biologie, Chemie, Ingenieurwissenschaften und Medizin und integrieren modernste Technik aus der Industrie, um die Therapie von Patientinnen und Patienten zu verbessern.

Bei der Entfernung eines Tumors entscheiden oft wenige Millimeter über den Erfolg der Operation: Schneidet die Chirurgin oder der Chirurg zu nah am Tumor, können Krebszellen im Körper verbleiben. Wird ein größerer Abstand gewählt, können wichtige umliegende Strukturen wie Nerven geschädigt werden. Zur stichprobenartigen Beurteilung des Tumorrands dienen bislang vor allem Gewebeproben, die während einer Operation entnommen und unmittelbar feingeweblich durch die Pathologie auf verbliebene Tumorzellen untersucht werden. Künftig soll eine Weiterentwicklung der Fluoreszenzbildgebung neue Maßstäbe für die hochpräzise Tumorchirurgie setzen.

Bei der Fluoreszenzbildgebung bringt infrarotes Licht in Kombination mit speziellen Farbstoffen Gewebe, Gefäße oder Körperflüssigkeiten zum Leuchten. Bislang funktioniert die nicht-invasive Methode mit Infrarotlicht mit Wellenlängen von 700 bis 900 Nanometern und wird beispielsweise genutzt, um während einer Operation den Blutfluss in neu verbundenen anatomischen Strukturen zu überprüfen. Bruns und sein Team setzen hingegen auf kurzwelliges Infrarotlicht (auch SWIR von englisch short-wave-infrared) mit Wellenlängen größer 1.000 Nanometern. „Kurzwelliges Infrarotlicht bietet einen besseren Kontrast und schärfere Bilder. Ausgehend von unseren Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung sind wir davon überzeugt, dass die Methode das Potential hat, in Zukunft verbliebene Krebszellen an Tumorrändern in einer Tiefe von mehreren Millimetern abzubilden. Auch das Sichtbarmachen einiger weniger Tumorzellen in Lymphknoten liegt im Bereich des Möglichen“, sagt Prof. Oliver Bruns (42), der seit dem 1. Februar die neu geschaffene Professur für Funktionelle Bildgebung in der Operativen Onkologie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) bekleidet. „Die Darstellung einzelner Tumorzellen im gesamten Tumorrand und in Lymphknoten während einer Operation ist bislang ein ungelöstes Problem. Die Idealvorstellung wäre, dass die neue Bildgebungsmethode künftig so präzise ist, dass beispielsweise Tumorzellen rot erscheinen, Nerven grün und Blutgefäße blau. Wenn die Entwicklung in diese Richtung geht, könnte sich die Präzision und Sicherheit in der Tumorchirurgie deutlich erhöhen“, betont Prof. Jürgen Weitz, Mitglied im geschäftsführenden Direktorium des NCT/UCC und Direktor der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden.

Ein Grund dafür, dass sich die SWIR-Bildgebung für die Medizin erst in jüngster Zeit zu einem schnell wachsenden Forschungsgebiet entwickelt hat, liegt darin, dass es bis vor Kurzem keine hierfür geeignete bildgebende Technik gab. Die rasante Kameraentwicklung in der Industrie – etwa im Bereich des autonomen Fahrens – hat nun aber die nötigen technischen Grundlagen geschaffen und für die klinische Forschung und Anwendung erschwinglich gemacht. Des Weiteren gibt es bislang nur wenige für die klinische Anwendung zugelassene – auch für die SWIR-Bildgebung geeignete – Fluoreszenzfarbstoffe, mit denen sich bestimmte Gewebe und Strukturen, wie Tumoren oder Blutgefäße, gezielt sichtbar machen lassen. „Meine Vision ist, dass in zehn bis zwanzig Jahren jede große Klinik die SWIR-Bildgebung einsetzt und über die nötigen technischen Voraussetzungen und geeigneten Kontrastmittel verfügt“, sagt Prof. Bruns, der zuletzt eine Forschungsgruppe am Helmholtz Pioneer Campus in München leitete.

Um dieses Ziel zu erreichen, will der Wissenschaftler am Dresdner Uniklinikum zunächst die aktuell verfügbaren klinischen Möglichkeiten der Fluoreszenzbildgebung für verschiedene onkologische Operationen erweitern. Hierauf aufbauend sollen dann Schritt für Schritt die technologischen Voraussetzungen geschaffen werden, um mit kurzwelligem Infrarotlicht zu arbeiten. „Uns ist es sehr wichtig, das unmittelbare Feedback der Chirurginnen und Chirurgen zu erhalten. Etwa dazu, bei welchen Fragestellungen die neue Methode besonders benötigt wird und wie gut die Anwendung funktioniert. Die Möglichkeit, unsere Forschung auf direktem Weg in die Klinik zu überführen und die Aufbruchsstimmung unter den chirurgischen Kolleginnen und Kollegen, die hier gemeinsam mit uns neue Wege gehen wollen, waren ein wesentlicher Grund für mich, nach Dresden zu kommen“, sagt Bruns. „Mit Oliver Bruns konnten wir einen ausgewiesenen Bildgebungsexperten für den Hochschulmedizinstandort Dresden gewinnen“, so Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums Dresden. „Wir sind überzeugt, durch seine wissenschaftliche Expertise die Präzision der Krebschirurgie weiter vorantreiben zu können.“ Auch über die Krebschirurgie hinaus bietet die Technik Anwendungsmöglichkeiten und könnte künftig beispielsweise auch bei bestimmten Screening-Untersuchungen wie Darmspiegelungen zum Einsatz kommen.

Bruns, der seit Jahren als Pioneer auf dem Gebiet der SWIR-Bildgebung forscht, arbeitet bei der Entwicklung neuer Farbstoffe und der Integration neuester technologischer Entwicklungen in medizinische Bildgebungseinheiten eng mit Forschergruppen auf der ganzen Welt zusammen, etwa von der Stanford University, der University of California (Los Angeles), dem National Cancer Institute (NCI/NIH, Maryland), dem Imperial College London und der Universität Hannover. „Wir sind überzeugt davon, dass die neue Technologie deutlich besser ist als der derzeitige Standard. Deshalb ist es wichtig, alle Kräfte – auch gemeinsam mit verschiedenen Dresdner Forschungsinstitutionen – zu bündeln, um möglichst bald zu verbesserten Therapien zu gelangen“, so Bruns.

Oliver Bruns, Jahrgang 1980, studierte Biochemie und Molekularbiologie an der Universität Hamburg und promovierte am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er forschte als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie in Hamburg und über mehrere Jahre am Massachusetts Institute of Technology (MIT). 2018 wurde er Principal Investigator am Helmholtz Pioneer Campus in München und wird im Rahmen des Emmy Noether-Programmes von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Oliver Bruns erhielt bereits eine Reihe wissenschaftlicher Auszeichnungen und Förderungen, darunter die Emmy Noether-Nachwuchsgruppenleitung, ein Long-Term Fellowship der European Molecular Biology Organisation (EMBO) sowie die Karl-Heinz Hölzer-Auszeichnung für interdisziplinäre Forschung (2010). Er koordiniert ein von der Chan-Zuckerberg-Initiative (CZI) mit einer Millionen Dollar gefördertes Konsortium und wird seit diesem Jahr vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des BetterView Verbundes (Projektvolumen: 4,1 Mio. Euro) gefördert. Oliver Bruns ist Autor von 43 Publikationen und Erfinder von 13 Patenten.

NCT/UCC Dresden
Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR).Das NCT hat es sich zur Aufgabe gemacht, Forschung und Krankenversorgung so eng wie möglich zu verknüpfen. Damit können Krebspatienten an den NCT-Standorten auf dem jeweils neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse behandelt werden. Gleichzeitig erhalten die Wissenschaftler durch die Nähe von Labor und Klinik wichtige Impulse für ihre praxisnahe Forschung. Gemeinsamer Anspruch der NCT-Standorte ist es, das NCT zu einem internationalen Spitzenzentrum der patientennahen Krebsforschung zu entwickeln. Das Dresdner Zentrum baut auf den Strukturen des Universitäts KrebsCentrums Dresden (UCC) auf, das 2003 als eines der ersten Comprehensive Cancer Center (CCC) in Deutschland gegründet wurde. Seit 2007 wurde das UCC von der Deutschen Krebshilfe e.V. (DKH) kontinuierlich als „Onkologisches Spitzenzentrum“ ausgezeichnet.

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden bietet medizinische Betreuung auf höchstem Versorgungsniveau. Als Krankenhaus der Maximalversorgung deckt es das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. Das Universitätsklinikum vereint 20 Kliniken und Polikliniken, vier Institute und zehn interdisziplinäre Zentren, die eng mit den klinischen und theoretischen Instituten der Medizinischen Fakultät zusammenarbeiten.Mit 1.295 Betten und 160 Plätzen für die tagesklinische Behandlung von Patienten ist das Dresdner Uniklinikum das größte Krankenhaus der Stadt und zugleich das einzige Krankenhaus der Maximalversorgung in Ostsachsen. Rund 860 Ärzte decken das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. 1.860 Schwestern und Pfleger kümmern sich um das Wohl der Patienten. Wichtige Behandlungsschwerpunkte des Uniklinikums sind die Versorgung von Patienten, die an Krebs, an Stoffwechsel- und an neurodegenerativen Erkrankungen.
Deutschlands größter Krankenhausvergleich des Nachrichtenmagazins „Focus“ bescheinigt dem Universitätsklinikum Carl Gustav Dresden eine hervorragende Behandlungsqualität. Die Dresdner Hochschulmedizin belegt deshalb Platz zwei im deutschlandweiten Ranking.

Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden

Die Hochschulmedizin Dresden, bestehend aus der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus und dem gleichnamigen Universitätsklinikum, hat sich in der Forschung auf die Bereiche Onkologie, metabolische sowie neurologische und psychiatrische Erkrankungen spezialisiert. Bei diesen Schwerpunkten sind übergreifend die Themenkomplexe Degeneration und Regeneration, Imaging und Technologieentwicklung, Immunologie und Inflammation sowie Prävention und Versorgungsforschung von besonderem Interesse. Internationaler Austausch ist Voraussetzung für Spitzenforschung – die Hochschulmedizin Dresden lebt diesen Gedanken mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 73 Nationen sowie zahlreichen Kooperationen mit Forschern und Teams in aller Welt.

Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR)
Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:

  • Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
  • Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
  • Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?

Zur Beantwortung dieser wissenschaftlichen Fragen betreibt das HZDR große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen.

Das HZDR ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat fünf Standorte (Dresden, Freiberg, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt knapp 1.200 Mitarbeiter – davon etwa 500 Wissenschaftler inklusive 170 Doktoranden.

Über Deutsches Krebsforschungszentrum

Das DKFZ ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. 

Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.

Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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