Ein substanzieller Anteil des globalen Ressourcenverbrauchs ist auf das Bauwesen zurückzuführen. Ebenso erfordern das große Abfallaufkommen sowie ein hoher CO2-Ausstoß angesichts der Klimakrise dringend ein Umdenken der Branche. Für die Planung klimaneutraler Lebensräume gilt es, über konventionelle Denkweisen hinauszugehen – zum Beispiel durch Leichtbau. Doch in der Praxis sehen sich alternative Ansätze häufig mit Herausforderungen konfrontiert. Wie kann es gelingen, dass sich Leichtbau im Bauplanungsprozess zum Standard etabliert? Darüber diskutierten Branchenkenner*innen und Vordenker*innen am vergangenen Donnerstag beim Symposium „Leichtbau im urbanen System“ in der Filderhalle in LeinfeldenEchterdingen.

Nach den begrüßenden Worten von Dr. Wolfgang Seeliger, Geschäftsführer der Leichtbau BW GmbH, und Dr. Christan Schneider, Ministerialdirektor und Amtschef im Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg, beleuchteten Fachexpert*innen Chancen des Leichtbaus für einen nachhaltigen Bauplanungsprozess aus verschiedenen Blickwinkeln.

Nachhaltig von Beginn an: Alternative Ansätze für den „leichten“ Wandel der Bauindustrie

Zum Auftakt des Symposiums erörterte Cem Arat (asp Architekten GmbH) den Rahmenplan für den Stadtteil Stuttgart-Rosenstein als Beispiel eines innovativen sowie ressourcenschonenden Bauprojekts. Als essenziell für die erfolgreiche Umsetzung stellt er dafür vielschichtige Prozesse unter Einbeziehung von Bürger*innen, Verwaltungen, Institutionen sowie der Politik heraus. Es gilt, „Planung als Dialog zu verstehen.“ Nur so könne der Weg in die Realisierung vielfältiger, klimaresilienter sowie grüner Stadtteile mit urbanem Charakter gelingen.

Daran anknüpfend nahm Jürg Conzett (Conzett Bronzini Partner AG) die Teilnehmenden des Symposiums in seinem Vortrag mit in die Schweiz. Anhand aufschlussreicher schweizerischer Fallbeispiele demonstrierte er die Rolle des Leichtbaus in der Geschichte des Betonbaus sowie den Einfluss statischer Theorien der Vergangenheit auf neue Konstruktionsweisen. In die Ausführungen des Experten flossen außerdem Erfahrungen der Conzett Bronzini Partner AG im Bereich Massiv- und Leichtbau ein, anhand derer er zukunftsträchtige Entwicklungen von Baumaterialien und -weisen demonstrierte.

Praxisnah ging es mit dem Vortrag von Jan Jungclaus (HafenCity Hamburg GmbH) weiter. Er berichtete über die Weiterentwicklung des Umweltzeichens HafenCity als Instrument beziehungsweise Anreiz zur Gestaltung nachhaltiger Gebäude. Das Umweltzeichen als Bewertungssystem fördert leichtes sowie zirkuläres Bauen und zielt darauf ab, Nachhaltigkeitsstandards für Bauprojekte über die  gesetzlichen Standards hinaus zu steigern. Ein Beispiel mit Vorbildcharakter soll etwa der neu zu errichtende Unternehmenssitz der HafenCity Hamburg GmbH selbst sein, der als Null-Emissionshaus konzipiert ist.

Planen jenseits konventioneller Architekturen und Infrastrukturen

Der demografische Wandel sowie ökonomische Faktoren verlangen zunehmend nach einer höheren Dichte in den Städten. Dr. Anna Braune (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB e.V.) betonte in diesem Kontext das enorme Klimapotenzial des Leichtbaus. Leichtbau könne wesentlich dazu beitragen, die schlimmsten Klimarisiken noch abzuwenden. Obgleich die Vorteile des Leichtbaus wie ein reduzierter Ressourcenverbrauch und geringere Umweltwirkungen auf der Hand liegen, kommt diese Konstruktionsphilosophie laut der Expertin im Bereich Städtenachverdichtung noch zu selten zum Einsatz. Aufstockungen, Konversionen, Baulückenschließungen sowie Erweiterungen und ergänzender Neubau machen Leichtbau in der städtischen Nachverdichtung jedoch unabdingbar.

Steffen Braun (Fraunhofer IAO) betonte daran anknüpfend, dass für die Verwirklichung der Klimaschutzziele im urbanen Raum neue Konzepte für zukunftsgerichtete Planungs- und Bauprozesse zwischen Wirtschaft und öffentlicher Hand von Nöten seien. Althergebrachte Vorgaben und Vorschriften wirken sich oftmals erschwerend auf die Realisierung neuer Ideen aus. Es gelte laut Braun vielmehr, Leistungsanreize zu schaffen, um den interdisziplinären Ansatz „Leichtbau im urbanen System“, welcher alle Prozesse im Lebenszyklus für Quartiere berücksichtigt – vom Wohnen über die Versorgung bis hin zur Mobilität – konsequent umzusetzen. Diesen Ansatz führte der Experte in der anschließenden Podiumsdiskussion weiter aus. Außerdem sieht Braun eine wesentliche Chance in der verstärkten Förderung durchgängig digitalisierter Prozesse über alle Phasen eines Bauprojektes hinweg.

Dass durchgängig digitalisierte Prozesse im Bauwesen ein wesentlicher Schlüssel für den Ressourcenschutz, aber auch eine höhere Produktivität im Bauwesen sind, erläuterte Prof. Dr. Götz T. Gresser (Cluster of Excellence IntCDC) anschließend ausführlicher. „Wir können es uns nicht leisten, so weiterzubauen, wie immer,“ betonte er. Das Exzellenzcluster IntCDC setzt auf integrative Designmethoden in Verbindung mit automatisierter Fertigung, um so eine durchgängige digitale Kette vom Entwurf bis zur Ausführung von Fertigungsprozessen zu ermöglichen.

Zum Abschluss der Vortragsreihe gab Thorsten Kühmann (VDMA e.V., AG Hybride Leichtbau Technologien) den Teilnehmenden wichtige Impulse auf den Weg, welchen Beitrag der Maschinenbau zur Automatisierung von Fertigungsprozessen im Bauwesen leisten kann. Dabei bezog Kühmann sich auf die Erfahrung der Maschinenbauindustrie im Bereich Industrie 4.0 sowie der Fertigungsoptimierung und machte ein großes Potenzial in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Maschinenbauund Baubranche aus. Zudem erkennt der Experte hier eine große Chance für neue Geschäftsfelder im Maschinenbau. Denn: Innovationen entstehen vor allem an der Schnittstelle zwischen Branchen und Technologien.

Podiumsdiskussion: Keine Angst vor der „Dauerbaustelle“ Nach der Mittagspause erwartete die Teilnehmenden des Leichtbausymposiums eine Podiumsdiskussion mit den Expert*innen. Wie wird die Stadt der Zukunft aussehen? Wie können wir einer nachhaltigen Vision näherkommen? Bleibt das Planen für den Leichtbau eine dauerhafte Baustelle? Dr. Hans Schneider (Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg) gab eingangs zu bedenken, dass die grundlegenden Anforderungen der baustoff- und bauartenneutralen Landesbauordnung zum Beispiel hinsichtlich Standsicherheit und Brandschutz für alle Bauvorhaben gleichermaßen gelte und dies auch in Zukunft wesentlich sei. Experten wie Steffen Braun würden jedoch auch neue Test- und Experimentierfelder mit angepasstem Planungs- und Baurecht als hilfreich erachten. Dr. Anna Braune sprach sich dafür aus, Standards, die ressourcenverschlingende Bauweisen fordern, zu überarbeiten und dafür aktiv auf Entscheidungsträger*innen zuzugehen. So kamen auch passende Anreizsysteme für das ressourcenschonende und leichte Bauen zur Sprache.

Jürg Conzett brachte hierzu potenzielle Marktanreize in die Diskussion ein. Steffen Braun betonte darüber hinaus Leistungsanreize im Sinne von Pull-Faktoren und schlug ein performanzorientiertes Anreizsystem vor. Derartige Systeme sollten sowohl Zeit als auch Kosten abdecken und besonders nachhaltige Bauweisen belohnen. Ein performatives Kriterium könnte beispielsweise sein, pro 100 m² überbauter Fläche 20 % grünen Ausgleich zu schaffen. Auf internationaler Ebene hätten sich Anpassungen der Baunutzungsverordnungen für besonders nachhaltige Bauweisen bereits bewährt – etwa beim Waste2Power-Plant-Projekt in Kopenhagen. Hier wurde aufgrund soziokultureller Mehrwerte von der präskriptiven Höhenvorgabe zugunsten einer innovativen Dachnutzung durch eine Skipiste abgewichen.

Grundsätzlich gelte es in der Stadt von morgen, alle Änderungen an der gebauten Umgebung mit technischen und prozessualen Möglichkeiten so unauffällig und minimalinvasiv wie möglich vorzunehmen. Von Vorteil wäre es laut Steffen Braun, funktionelle Trennungen in Städten zu überwinden sowie sektorenübergreifende Schnittstellen zu stärken. Ebenso wichtig seien eine regionalbezogene Formensprache sowie die Verwendung nachwachsender, biologischer Rohstoffe. Dr. Anna Braune betonte in der Diskussion, dass sich aus ihrer Sicht der Neubau zunehmend zum Auslaufmodell entwickeln werde. Nachverdichtung und dabei auch die Wiederverwendung von Materialien seien entscheidend für die Zukunft. Jürg Conzett berichtete basierend auf seiner Praxiserfahrung, dass im Bauplanungsprozess bereits heute vermehrt lokal gewonnene Materialien sowie Rohstoffe „aus der Vergangenheit“ wie Naturstein eine Rolle spielen. Mit Blick auf den zirkulären Einsatz von Materialien und Produkten im Bauprozess warf Cem Arat ein, dass es heutzutage noch mit großen Aufwänden verbunden sei, die zum Projekt passenden Baustoffe zusammenzusuchen. Insofern sei eine zentrale, leicht zugängliche Datenbank erstrebenswert – wie sie etwa die Madaster Germany GmbH bereits im Leichtbausymposium 2020 vorstellte.

Cem Arat stellte in der Diskussion außerdem heraus, dass in der Stadtplanung der Zukunft auch die menschliche Perspektive nicht verloren gehen dürfte. Mit Blick auf Klimaresilienz und Innovation sei deswegen vor allem auch ein intensiverer Blick in Richtung eines vielschichtigen und kooperativen Planungsprozesses entscheidend. Bauplanung sollte stets als iterativer Prozess auf unterschiedlichen Ebenen verstanden werden.

Insgesamt zeigte sich in der Podiumsdiskussion, dass passende Leistungsanreize ein wichtiger Stellhebel auf dem Weg in Richtung ressourcenschonendes, leichtes Bauen zu sein scheinen. Diese Anreizsysteme gilt es nun – auch gemeinsam mit politischen Entscheidungsträger*innen – auszuarbeiten. Darüber hinaus waren sich die Expert*innen einig, dass die Umsetzung eines klimaschonenden Bauplanungsprozesses in einem gesteigerten Tempo erfolgen müsse. Eng vernetzt, mit neuen Anreizen und im Dialog mit allen Beteiligten – denn die Zukunft hat längst begonnen.

Highlight am Nachmittag: Besichtigung der Laborbühne in Stuttgart-Rot

Im Anschluss an die vielfältigen Fachvorträge und die Podiumsdiskussion fand das Symposium „Leichtbau im urbanen System“ mit einem besonderen Highlight seinen Abschluss. Die Teilnehmenden hatten die Gelegenheit, zu einer exklusiven Führung durch das „Reallabor Wohnen“ in Stuttgart-Rot. Zwischen den Zeilenbauten aus der Nachkriegszeit soll dort das Quartier „Am Rotweg“ in innovativer sowie nachhaltiger Weise unter Beteiligung der Bewohner*innen sowie aller Beteiligten des Bauplanungsprozesses erarbeitet und realisiert werden. Die sogenannte Laborbühne begleitet dabei den aktiven Beteiligungsprozess und ist als Ort des Dialogs und des Austausches angelegt. Das Modellquartier in Stuttgart-Rot ist damit ein gelungenes Beispiel für einen innovativen sowie kooperativen Baubeteiligungsprozess.

Über das Symposium „Leichtbau im urbanen System“

Das jährlich von der Leichtbau BW GmbH veranstaltete Symposium „Leichtbau im urbanen System“ zieht seit 2017 zahlreiche Fachbesucher*innen und Expert*innen an, insbesondere aus dem Bereich Architektur und Bauingenieurwesen. Internationale Referent*innen präsentieren ihre Ideen und inspirieren die Teilnehmenden durch Best-Practice-Beispiele aus Industrie und Forschung.

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