– Scholz‘ Machtwort hat keinen Einfluss auf Themenprioritäten und Parteipräferenzen
– SPIEGEL-Daten zum Machtwort von Scholz suggerieren große Zustimmung zur Abschaltung der Kernkraftwerke im Frühjahr
– Wie generiert der SPIEGEL solche mit der Realität nicht übereinstimmenden Daten?
Scholz‘ Machtwort hat keinen Einfluss auf Themenprioritäten und Parteipräferenzen
Die Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz, dass die drei noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke noch bis Mitte April nächsten Jahres weiter betrieben werden können, hat die Angst der Bundesbürger vor den Folgen der Energieverknappung und den steigenden Preisen für Strom, Heizung und Kraftstoffe nicht kleiner werden lassen – im Gegenteil: Mit 81 Prozent erreicht der Anteil der Bürgerinnen und Bürger, die die Energiekrise als wichtigstes Thema einschätzen, einen neuen Höchststand.
Auswirkungen auf die politische Großwetterlage hat Scholz‘ Machtwort auch nicht. So hat es seiner Partei keinen Sympathiezuwachs gebracht, sondern der Präferenzwert der SPD fiel sogar wieder unter die nach der Wahl in Niedersachsen erreichte 20-Prozent-Marke. Mit 19 Prozent liegen die Sozialdemokraten wieder nur auf Rang drei – hinter den Grünen mit unveränderten 20 Prozent und der Union mit leicht verbesserten 28 Prozent. Unverändert bleiben die Werte auch für die FDP (6 %), die Linke (4 %), die AfD (14 %) und die sonstigen kleinen Parteien (9 %).
Rechnet man die Daten der aktuellen politischen Stimmung unter Berücksichtigung der den Parteien nach dem jetzigen Wahlrecht zustehenden Überhang- und Ausgleichsmandate in Mandate um, dann hätte die „Ampel“-Koalition mit zusammen 355 Abgeordneten (2021: 416) bei einer Gesamtzahl von 723 Abgeordneten (2021: 736) keine regierungsfähige Mehrheit mehr. Die jetzigen Oppositionsparteien kämen zusammen auf 368 Sitze (2021: 320).
SPIEGEL-Daten zum Machtwort von Scholz suggerieren große Zustimmung zur Abschaltung der Kernkraftwerke im Frühjahr
Dass das „Machtwort“ von Olaf Scholz der „Ampel“-Regierung keine Sympathiezuwächse gebracht hat, ist angesichts der im neuesten SPIEGEL (Heft 43 vom 22.10.2022, S. 23) verlautbarten Zahlen über die große Zustimmung zur Entscheidung des Kanzlers zur Laufzeit der Atomkraftwerke verwunderlich. Laut SPIEGEL bewerten es nämlich nicht nur 82 Prozent als „richtig“, dass Scholz seine Richtlinienkompetenz eingesetzt hat, sondern noch mehr – 84 Prozent – bewerten es auch als richtig, dass die drei noch betriebenen deutschen Atomkraftwerke nur noch bis zum 15. April 2023 am Netz bleiben sollen.
Allerdings widersprechen diese Daten der noch vor wenigen Wochen (am 6. August dieses Jahres) vom SPIEGEL verkündeten „neuen Liebe“ der Deutschen „zur Atomkraft“. Im Artikel „Atomkraft ja bitte“ war Anfang August zu lesen, dass 67 Prozent die drei Atomkraftwerke „noch 5 Jahre weiter“ betrieben haben wollten und 41 Prozent sogar forderten, die Bundesregierung solle „neue Atomkraftwerke“ bauen. Nun soll also die vom SPIEGEL Anfang August beschworene „neue Liebe“ der Deutschen zur Atomkraft und ihr „Wunsch nach einer Energiekehrtwende“ in ganz kurzer Zeit wieder verflogen sein?
Vielleicht verfügt aber das deutsche „Leitmedium“ SPIEGEL über Informationen über eine erneute Kehrtwende der Bundesbürger in Sachen Energiepolitik innerhalb von nur etwas mehr als zwei Monaten, die Medien wie dem ZDF oder RTL/ntv verborgen geblieben sind. Laut ZDF vom 21 Oktober und RTL/ntv vom 25. Oktober findet nämlich nur eine Minderheit der Bundesbürger – 36 Prozent beim ZDF, 35 Prozent bei RTL/ntv – Scholz´ Entscheidung einer Laufzeitverlängerung von nur wenigen Wochen richtig. Eine Mehrheit – 55 Prozent beim ZDF, 56 Prozent bei RTL/ntv – ist hingegen dafür, die drei Kernkraftwerke auch über den 15. April 2023 noch zur Erzeugung von Strom zu nutzen.
Einiges könnte aber auch dafür sprechen, dass der SPIEGEL wieder einmal Märchen über die Befindlichkeiten der Menschen verbreitet; denn eine Mehrheit von 61 Prozent aller Bundesbürger glaubt auch nicht daran, dass die Stromversorgung in Deutschland im kommenden Jahr 2023 ohne den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke gewährleistet sei. Dass die Stromversorgung im nächsten Jahr auch ohne Kernkraftwerke sichergestellt ist, glauben mehrheitlich nur die Anhänger der Grünen.
Wie generiert der SPIEGEL solche mit der Realität nicht übereinstimmenden Daten?
Bei der großen Diskrepanz zwischen den vom SPIEGEL verlautbarten und den vom ZDF bzw. von RTL/ntv ermittelten Werten ist sicherlich angebracht, sich einmal genauer über das Zustandekommen dieser Daten zu informieren.
Das ZDF und RTL/ntv ermitteln ihre Daten im Rahmen des „ZDF-Politbarometers“ bzw. des „RTL/ntv-Trendbarometers“ mit Hilfe von repräsentativen Befragungen eines sorgfältig ausgewählten Querschnitts der Wahlbevölkerung. So hat z. B. die Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des ZDF beim aktuellen Politbarometer vom 18. bis 20. Oktober 1.389 Personen zusammen mit fast 30 anderen Fragen auch die Frage nach der Bewertung der Entscheidung von Scholz zur Laufzeit der Atomkraftwerke gestellt.
Der SPIEGEL gibt an, die Frage nach der Wertung des Machtworts von Scholz deutlich mehr, nämlich 10.392 Teilnehmern vom 18. bis 20. Oktober vorgelegt zu haben. Berücksichtigt wurden für die vom SPIEGEL dargestellten Werte jedoch nur 5.052 dieser insgesamt über 10.000 Teilnehmer. Die zweite Frage nach der Wertung der Entscheidung von Scholz wurde dann – anders als es z. B. beim ZDF-Politbarometer gehandhabt worden wäre – nicht denselben 10.392 Teilnehmern gestellt, sondern 5.482 anderen Teilnehmern. Und während bei der Frage nach Scholz´ Machtwort nur die Hälfte (5.052 oder 48,6 %) der 10.392 Teilnehmer für die Generierung der im Heft verkündeten Werte berücksichtigt wurde, wurden bei der Frage nach der Wertung der Laufzeit fast alle der 5.482 Teilnehmer (5.003 oder 91,3 %) berücksichtigt. Könnte es also sein, dass bei der Frage nach der Wertung der Laufzeit das zum SPIEGEL-Artikel passende Ergebnis schon mit der geringeren Zahl von Teilnehmern generiert werden konnte, während bei der ersten Frage zur Wertung von Scholz´ Machtwort nur die Antworten berücksichtigt wurden, die das zum Artikel passende Ergebnis ergaben?
Generell ist schon verwunderlich, dass das ZDF und RTL/ntv schon auf Basis von rund 1.000 sorgfältig ausgewählten Befragten verlässliche Ergebnisse ermitteln können, während der SPIEGEL immer mindestens 5.000 „Befragte“ als Basis angibt. Hinzu kommt, dass diesen 5.000 „Befragten“ beim SPIEGEL immer nur eine einzige Frage und nicht ein Fragebogen mit mehreren Fragen vorgelegt werden kann. Würde der SPIEGEL somit wie z.B. beim Politbarometer rund 30 Fragen stellen wollen, müssten diese Fragen jeweils 5.000 Teilnehmern – zusammen also rund 150.000 – vorgelegt werden. Da aber die Zahl der den veröffentlichten Werten zugrunde gelegten Angaben – wie das aktuelle Beispiel des SPIEGEL zeigt – nur einen Bruchteil der gesamten Teilnehmerzahl ausmacht, müssten insgesamt sogar mehr als der doppelten Anzahl von Teilnehmern (also 300.000 oder mehr) die einzelnen 30 Fragen ausgespielt werden. Und bei dem von den 39 nordrheinwestfälischen Zeitungen in 5 Wellen à 2.000 Befragten durchgeführten „NRW-Check“ mit im Schnitt fast 25 Fragen hätten somit vom SPIEGEL 625.000 Antworten von vermutlich mehr als 1,2 Millionen Nordrhein-Westfalen eingesammelt werden müssen.
Die Art und Weise, wie der SPIEGEL Daten generiert, hat somit mit moderner Meinungsforschung gar nichts zu tun, sondern ist ein Rückfall sogar hinter die Steinzeit der empirischen Forschung.
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