Die Überarbeitung der Dublin-Richtline der EU sollte man sich genauer anschauen. Sie hält im Detail Überraschungen für die Definition von Ehe und Familie bereit. Der Begriff „Familienzusammenführung“ etwa ist bei weitem nicht so neutral und gut gemeint, wie er zunächst klingt.

Zur Vorgeschichte: Am 4. Mai 2016 legte die Juncker-Kommission eine Neufassung jener EU-Verordnung vor, welche die Kriterien und Verfahrungen des Mitgliedsstaats festlegt, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Dieser Text ist als „Dublin-Verordnung“ in aller Munde. Die Definition des Familienbegriffs in diesem Dokument ist aus zwei Gründen wichtig: Sie definiert den Personenkreis, der Anspruch auf Asyl hat, mithin die Anzahl der zukünftigen Zuwanderer in Deutschland. Und sie spiegelt das Verständnis von Ehe und Familie bei Entscheidungsträgern wider. Je unkonkreter solche Definitionen und Kriterien gefasst sind, umso eher können sich Asylantragsteller auf eine fiktive Genealogie berufen, um eine Ablehnung des Asylantrags zu verhindern. Anstatt den Kreis der Antragsberechtigten also eng und präzise anhand des in allen EU-Mitgliedstaaten verankerten traditionellen Verständnisses von Ehe und Familie (Mutter, Vater, Kind) zu definieren, nutzen die Juncker-Kommission und das EU-Parlament die Reform der Dublin-Regeln für eine weitere Aushöhlung des Familienbegriffs.

Demnach gilt: Clan statt Familie. Denn bei der Definition von asylantragsberechtigten Familienangehörigen ist die Juncker-Kommission großzügig und widersprüchlich. Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Definition von Familie umfasst auch nicht verheiratete Paare, unehelich geborene Kinder, Onkels, Tanten und Großelternteile sowie die Geschwister des Antragsstellers, also alle Brüder und Schwestern eines Antragstellers/einer Antragstellerin, sowie deren Familienangehörige. Clan statt Familie. Dabei ist das Asylrecht für politisch Verfolgte kein gruppenbezogenes, sondern ein individuelles Recht. Die Juncker-Kommission ist widersprüchlich bei der Frage, ob eine Familie bereits im Herkunftsland durch eine gültige Ehe nach europäischem Vorbild bestanden haben muss oder nicht. Die Ehe zwischen Mann und Frau ist für die Europäische Union schon lange kein kulturelles Alleinstellungsmerkmal des europäischen Kontinents mehr. Die Juncker-Kommission ist auch dahingehend widersprüchlich, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestehen muss. In Kapitel 1 Artikel 2 („Definitionen“) steht, dass die Familienzugehörigkeit vor der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet des prüfenden Mitgliedstaats bestehen muss. Das erscheint auch normal. Doch in Kapitel 3 Artikel 11 („Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats“) steht wieder das Gegenteil nämlich „ungeachtet dessen, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat“. Wenn die Ehe nicht bereits schon im Herkunftsland bestanden hat, wer kann dann beurteilen, dass es sich wirklich um eine tatsächlich geschlossene Ehe handelt, und nicht nur um eine Scheinehe zur Erschleichung eines Asystatus? Übrigens wird der Mitgliedsstaat, in dem bereits die Prüfung eines Asylverfahrens läuft, automatisch der Mitgliedsstaat für alle anderen Familienmitglieder.

Dann die Begriffe „volljährige Kinder“ und „sonstige Kinder“. Anstatt alle diese Ungereimtheiten aus dem Kommissions-Vorschlag herauszustreichen, nutzen CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP und Die Linke in Brüssel die Asyl-Reform zur weiteren Aushöhlung des Familien-Begriffs. Das mit den Kriterien für asylantragsberechtigte Personen verbundene Familienbild wird um die Konzepte „erweiterte Familie“, „volljährige Kinder“ sowie „sonstige Kinder, für die das Paar eine elterliche Verantwortung trägt“, erweitert. Außerdem beschloss das EU-Parlament das nicht näher definierte Kriterium „soziale und andere bedeutende Bindungen“. Worte sind Symbole, und hier stehen sie für die Abwertung von Ehe und Familie im Rahmen der Migrationspolitik. Außerdem können sich Flüchtlinge ihren Lieblings-Aufnahmestaat selbst auswählen. Das EU-Parlament hat also mit seinen Änderungsanträgen den Begriff „Familienangehörige“ noch um das Kriterium „bedeutende Bindungen“ erweitert und angeregt, dass ein Antragsteller aufgrund seiner erweiterten Familie sowie seiner kulturellen oder sozialen Bindungen beantragen kann, in einem Wunsch-Mitgliedsstaat aufgenommen zu werden. Die Kategorie „sonstige Kinder, für die das Paar eine elterliche Verantwortung trägt“ könnte die Tür öffnen zur juristischen Anerkennung von Leihmutterschaft. Bislang gibt es nämlich keine eigene juristische Kategorie für diese Kinder, die im Ausland durch Leihmutterschaft entstanden sind. In manchen Mitgliedsstaaten sind sie gar verboten. Doch weil sie nun mal da sind, muss ihnen ein Rechtsstatus zuerkannt werden. Neben eigenen und adoptierten Kindern, deren Situation klar ist, gibt es dann „sonstige Kinder in elterlicher Verantwortung“.

Hinzu kommt „Gemeinsames Reisen“. Das scheint heute das Leitbild von Ehe und Familie der deutschen Altparteien im EU-Parlament zu sein. CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP und Linke haben zugestimmt, dass Asylanträge von „Familienangehörigen, Verwandten oder Gruppen von höchstens 30 Antragstellern, die beantragen, als gemeinsam reisend erfasst zu werden“ miteinander verknüpft bearbeitet werden. Das geht weit über den Kommissions-Vorschlag hinaus. Jetzt gilt: Familie ist Gemeinsames Reisen. Das Stammbuch zur Definition von Ehe und Familie war mal. Am 16. November 2017 stimmte das EU-Parlament für die Aufnahme von interinstitutionellen Verhandlungen mit dem Ministerrat auf der Grundlage dieses Berichts. Alle Europa-Abgeordneten der im Bundestag vertretenen Parteien haben dafür gestimmt (Jörg Meuthen von der AfD war zu diesem Zeitpunkt noch nicht als ordentliches Mitglied des EU-Parlaments für die in den Bundestag gewechselte Beatrix von Storch ernannt und durfte nicht mitstimmen). Diese Regeln sollen jetzt auch in Deutschland Anwendung finden. Damit entkernen die Altparteien im EU-Parlament das in den Mitgliedstaaten gesellschaftlich und kulturell verfestigte Verständnis von Ehe und Familie.

Für die europäischen Christdemokraten hat Monika Hohlmeier aus dem CSU Bezirksverband Oberfranken diese fragwürdige Entscheidung verhandelt. Frau Hohlmeier stimmte diesen Vorschlägen in namentlicher Abstimmung im federführenden Ausschuss zu. Im Plenum stimmten auch alle anderen CSU-Europa-Abgeordneten zu. Als sogar das unionsgeführte Innenministerium zu Beginn dieses Jahres Protest und Sorge formulierte, erklärte Frau Hohlmeier den deutschen Zeitungen alsdann:  "Wir setzen darauf, dass der Rat vor allem beim Familienbegriff noch Änderungen durchsetzt". Im Brüsseler Klartext: Kommission und Parlament bilden eine Koalition der Gutmenschen, das EU-Parlament beschließt unhaltbare Forderungen, die der Rat dann abändern soll. Beide Institutionen schieben also den Schwarzen Peter den Mitgliedsstaaten zu, welche im Rat eine gemeinsame Position zu diesen weltfremden Forderungen finden sollen. Und weil das begreiflicherweise nicht gelingt, werden die Regierungen von Kommission und Parlament der Arbeitsverweigerung beschuldigt. Was für ein unredliches Theater! Das politisch geschlossene Auftreten auf den einzelnen Entscheidungsebenen zwischen München und Berlin, Brüssel und Strasbourg ist nicht mehr gegeben. Während CSU-Parteichef Horst Seehofer die Migration zurecht die „Mutter aller politischen Probleme“ nennt, stimmen seine EU-Abgeordneten um die Partei-Vizen Manfred Weber und Monika Hohlmeier für einen Brüsseler Rechtsakt, der quasi unbegrenzte Zuwanderung von Familien-Clans mittels fiktiver Genealogie ermöglicht, und im Handumdrehen die Definition von Ehe und Familie aushöhlt.

Die Überarbeitung der Dublin-Verordnung liegt derweil auf Eis. Doch auch von den Vereinten Nationen in New York kommt ein „Pakt für Migration“, den alle UNO-Mitgliedstaaten unterschreiben sollen. Er soll eine „unverbindliche Empfehlung“ sein… doch erinnern Sie sich noch an die Weltfrauenkonferenz in Peking 1995? Dort wurde eine „unverbindliche Handlungsempfehlung“ zu Gendermainstreaming verabschiedet… zwanzig Jahre später gibt es die Ehe für Alle mit Adoptionsrecht, MeToo, Genderlehrstühle, Frühsexualisierung in der Schule und die Möglichkeit, sich sein soziales Geschlecht für den Reisepass selbst auszusuchen.

Man kann nur hoffen, daß die EU-Politiker in Kommission, Parlament und Rat sich daran erinnern und die Lehren erkennen. Zugegeben, die Hoffnung ist dünn. Aber das Wahlvolk ist auch nicht so dumm, wie man in Brüssel glaubt.

Zur Erinnerung: Mehrfach wurden wir gebeten, die Identität des Briefeschreibers aus Brüssel preiszugeben. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsarbeit von Informanten und Redaktion. Sie erinnert an die sogenannten Junius letters, in denen ein Pseudonym namens Junius in der Zeitschrift Public Advertiser in London vom 21. Januar 1769 bis zum 12. Mai 1772 Briefe über die Geschehnisse am Hofe und im Parlament veröffentlichte. Darin wurden die Machenschaften in der Königsfamilie, von Ministern, Richtern und Abgeordneten satirisch und mit Sachkenntnis der internen Vorgänge und Intrigen aufgespießt. Die Junius-letters gelten als erster Beleg des journalistischen Zeugnisverweigerungsrechts.

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