Gleich mehrere Gesetzesinitiativen zur Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind heute Thema im Deutschen Bundestag. Eine Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales befasst sich unter anderem mit dem Entwurf des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes der Großen Koalition und mit einem Gesetzesantrag der Grünen-Bundestagsfraktion zur Sicherung und Stärkung der Unternehmensmitbestimmung. Als Sachverständige beteiligt ist Dr. Johanna Wenckebach, wissenschaftliche Direktorin des Hugo-Sinzheimer-Instituts (HSI) für Arbeitsrecht der Hans-Böckler-Stiftung. Die Expertise, an der auch das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Stiftung mitgearbeitet hat, ist auf der Website des Bundestages abrufbar.*

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz soll unter anderem die Gründung von Betriebsräten in kleineren Betrieben erleichtern, die Teilnahme an Betriebsratswahlen ab 16 Jahre ermöglichen und Arbeitgeber-Schikanen gegen die Gründung von Arbeitnehmervertretungen erschweren. Wie wichtig das ist, zeigt eine qualitative Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass schätzungsweise jede sechste Erstwahl eines Betriebsrats behindert wird. Die Initiative der Grünen schlägt wiederum konkrete Maßnahmen vor, um Gesetzeslücken zu schließen, durch die bislang Mitbestimmungsrechte in den Aufsichtsräten großer Unternehmen ausgehebelt werden können. Auch hier ist der Handlungsbedarf groß: Nach einer Untersuchung des I.M.U. waren davon Anfang 2020 allein in Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten mindestens 2,1 Millionen Menschen betroffen.**

"Mitbestimmung ist gelebte Demokratie in Wirtschaft und Arbeitswelt. Aus der arbeitsrechtlichen Perspektive ist sie unerlässlich, um individuelle Beschäftigtenrechte durchzusetzen, gute Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätze zu sichern", sagt die Juristin Wenckebach. "Aktuelle Forschung zeigt darüber hinaus, dass das gesamte Unternehmen und die Gesellschaft profitieren, wenn Beschäftigte an wichtigen Entscheidungen beteiligt werden: So verfolgen mitbestimmte Unternehmen beispielsweise häufiger ein innovationsorientiertes Geschäftsmodell, sie kommen besser durch Wirtschaftskrisen, sie investieren mehr und sie tun mehr für Gleichstellung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Gerade in der aktuellen Transformationsphase mit sehr weitreichenden technischen Veränderungen und einem daraus folgenden großen Qualifikationsbedarf bei vielen Beschäftigten ist es dringend nötig, Mitbestimmung zu sichern und zu stärken", sagt die Rechtswissenschaftlerin.

– Betriebsrätemodernisierungsgesetz: Schritte nach vorn, doch nur wenige reichen weit genug –

Der Entwurf zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz bringe in wichtigen Fragen begrüßenswerte Fortschritte für die betriebliche Mitbestimmung. An zentralen Punkten reichten diese aber oft noch nicht aus, konstatiert Wenckebach.

Uneingeschränkt positiv bewertet die HSI-Direktorin die geplante Herabsetzung des Wahlalters bei Betriebsratswahlen auf 16 Jahre. "Jüngere Beschäftigte aktiv zur Wahl zu berechtigen, ist nicht nur zeitgemäß, sondern auch vor dem Hintergrund des Verbots der Altersdiskriminierung geboten", schreibt sie.

Gemischt fällt hingegen das Urteil der Juristin beispielsweise zum erweiterten Kündigungsschutz für Initiatorinnen und Initiatoren von Betriebsratswahlen aus. Der ursprüngliche Entwurf aus dem Bundesarbeitsministerium habe noch einen wirksamen gesetzlichen Schutz vorgesehen, dieser sei im Laufe der Abstimmung im Kabinett aber stark abgeschwächt worden und werde daher im vorliegenden Gesetzentwurf nur noch "fragmentarisch" umgesetzt. Auch bei den Themen Qualifizierung, Personalplanung und Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Betrieb, die verstärkter Mitbestimmung bedürfen, weise der Gesetzentwurf in die richtige Richtung, aber nicht weit genug. So fehle beispielsweise ein Initiativrecht von Betriebsräten in Fragen der qualitativen Personalentwicklung und Personalplanung, schreibt Wenckebach. Ein Gesetzesantrag der Fraktion Die Linke, der ebenfalls im Ausschuss behandelt wird, zeige, wie sich diese Lücke schließen lasse.

– Wichtige grüne Initiative zur Stärkung der Unternehmensmitbestimmung –

Den Antrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen begrüßt I.M.U.-Experte Dr. Sebastian Sick, der auch Mitglied in der Regierungskommission Deutscher Corporate Kodex ist, ausdrücklich. "Das demokratische Gestaltungsprinzip Unternehmensmitbestimmung erodiert nachweislich zunehmend", schreibt der Unternehmensrechtler. Ein zentraler Grund: Schwächen im europäischen Gesellschaftsrecht in Kombination mit Lücken in den deutschen Mitbestimmungsgesetzen, die bislang nicht geschlossen wurden. Hinzu kommt, dass etliche Unternehmen die Mitbestimmungsgesetze ignorieren. Das ist zwar illegal, wird bislang aber nicht wirksam sanktioniert. "Es ist deshalb dringend notwendig, Schlupflöcher zur Vermeidung zu schließen, der gesetzeswidrigen Ignorierung entgegenzuwirken und die Mitbestimmung für die sozial-ökologische Transformation weiterzuentwickeln. Hierauf wirkt der vorliegende Antrag hin", so Sick.

Die bündnisgrüne Gesetzesinitiative behandelt unter anderem folgende Punkte zur Sicherung der Mitbestimmung, die auch nach Analyse der Böckler-Fachleute zentral sind:

– Eine gesetzlich bindende Klarstellung, dass die Mitbestimmungsgesetze für alle kapitalistisch strukturierten Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten in Deutschland gelten. Anders als heute könnte dann etwa die Mitbestimmung nicht mehr ausgehebelt werden, wenn ein Wirtschaftsunternehmen in einer Rechtskonstruktion mit einer Stiftung firmiert (wie z.B. Aldi, Lidl oder die Würth-Gruppe) oder eine hybride Konstruktion mit deutscher und ausländischer Rechtsform wählt. Solch eine exotische Konstruktion nutzten Anfang 2020 mehr als 60 große deutsche Konzerne, beispielsweise der Schlachter Tönnies, dessen Holding als ApS & Co. KG firmiert, eine Konstruktion mit dänischer und deutscher Rechtsform. Allein deshalb hat die Holding keine Mitbestimmung – trotz konzernweit mehr als 2000 Beschäftigten in Deutschland. Eine Reform ist nach Einschätzung des I.M.U. europarechtskonform möglich.

– Bei europäischen Rechtsformen wie der Europäischen Aktiengesellschaft SE soll der Gesetzgeber gewährleisten, dass das "Einfrieren" auf einem Status ohne oder mit geringer Mitbestimmung durch taktische Umwandlung in einem frühen Stadium, in dem das Unternehmen noch nicht unter Mitbestimmungsgesetze fällt, verhindert wird. Konkret heißt das: Wächst die Beschäftigtenzahl einer SE über die Schwellenwerte von 500 bzw. 2000 Beschäftigten, muss es die Chance geben, dass Mitbestimmungsrechte entsprechend wachsen. Sicks Analysen zeigen, dass das europarechtlich möglich ist. Bislang haben hingegen selbst prominente Dax-Unternehmen wie die Vonovia SE oder die Deutsche Wohnen SE keinen paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat.

– Schließung der so genannten "Drittelbeteiligungslücke". Diese führte beispielsweise dazu, dass im Wirecard-Aufsichtsrat keine Beschäftigtenvertreter als Kontrollinstanz vertreten waren. Sie beruht darauf, dass im Drittelbeteiligungsgesetz, das Arbeitnehmerbeteiligung in den Aufsichtsräten von Unternehmen mit 501 bis 2000 Beschäftigten regelt, keine automatische Konzernzurechnung von Beschäftigten in Tochterunternehmen vorgesehen ist. Ein Konzern bleibt daher ohne jede Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat, wenn er sich in eine Holding und verschiedene Töchter aufgliedert, die jeweils maximal 500 Beschäftigte haben und die nicht über formale "Beherrschungsverträge" miteinander verbunden sind – auch wenn die verschiedenen abhängigen Unternehmen zusammengenommen weit mehr als 500 Beschäftigte haben, wie im Fall Wirecard.

– Unternehmen, die Mitbestimmungsgesetze rechtswidrig nicht anwenden, müssen effektiv sanktioniert werden. Dafür nennt I.M.U.-Jurist Sick mehrere Möglichkeiten, unter anderem am Umsatz orientierte Geldbußen. Zudem solle als Konsequenz aus dem Kontrollversagen bei Wirecard die korrekte Anwendung der Mitbestimmungsgesetze als Voraussetzung für eine Börsennotierung und die Teilnahme am Kapitalmarkt eingeführt werden.

– Die EU-Kommission sollte eine Rahmenrichtlinie in Angriff nehmen, die europaweit generelle Mindeststandards für die Arbeitnehmerpartizipation setzt. Die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müsse als Kernelement der europäischen Corporate Governance verankert werden.

Als absolut zielführend beurteilt Unternehmensrechtler Sick zudem Ansätze in der bündnisgrünen Gesetzesinitiative, die auf eine Stärkung der Unternehmensmitbestimmung abzielen. Diese orientieren sich an Regelungen, die heute schon in nach dem Montanmitbestimmungsgesetz mitbestimmten Unternehmen gelten:

– Paritätische Mitbestimmung in allen Unternehmen, die mindestens 1000 Beschäftigte in Deutschland haben (statt 2000 im Mitbestimmungsgesetz von 1976) bzw. Drittelbeteiligung ab 250 Beschäftigten.

– Verändertes Schlichtungsverfahren in Pattsituationen. Bislang steht bei Abstimmungen im paritätisch besetzten Aufsichtsrat den Aufsichtsratsvorsitzenden bei Stimmengleichheit ein Doppelstimmrecht zu. Damit hat die Kapitalseite de facto in allen Streitfragen eine Mehrheit, mit der beispielsweise kürzlich im Konflikt um das Continental-Reifenwerk in Aachen eine Betriebsschließung durchgesetzt wurde. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen sieht dagegen vor, dass in solchen Fällen "verpflichtend ein Schlichtungsverfahren eingeleitet wird. In diesem Verfahren soll mithilfe externen Sachverstands nach Perspektiven für nachhaltige Beschäftigung und wirtschaftlichen Erfolg vor dem Hintergrund der sozial-ökologischen Transformation gesucht werden." Speziell bei Maßnahmen der strategischen Ausrichtung des Unternehmens mit Personalbezug ist dies wichtig.

*Johanna Wenckebach, Thomas Klebe, HSI, Sebastian Sick, Daniel Hay, I.M.U.: Schriftliche Stellungnahme der Hans-Böckler-Stiftung für den Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages. Download: https://www.bundestag.de/…

**Weitere Informationen zur ökonomischen Wirkung der Mitbestimmung und ihrer Gefährdung: Was Mitbestimmung bewirkt. https://www.boeckler.de/…

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