„Eine globale Rezession in 2023 ist zwar sehr wahrscheinlich, aber die Gefahr, dass es ein sehr scharfer Einbruch werden könnte, ist zuletzt zurückgegangen“, erklärt Werner Krämer. Die Weltkonjunktur habe sich in den letzten Monaten als überraschend resilient erwiesen. China habe seine Null-Covid-Strategie aufgehoben und versuche, den kriselnden Immobilienmarkt zu stützen, was die dortige Konjunkturschwäche dämpfe. Die Unternehmensdaten würden weltweit noch immer eine gewisse Robustheit zeigen. Der Arbeitsmarkt sei stabil, weil angesichts überall knappen Personals auch in einer Krise kaum Mitarbeiter entlassen werden. Die Gefahren einer echten Energiekrise mit Rationierungen vor allem in Europa seien eher geringer geworden. Zudem würden allmählich die Energiehilfen der einzelnen Länder greifen, sodass sich der private Verbrauch behaupten könne. „Es spricht Vieles dafür, dass die erwartete Rezession recht milde ausfällt“, sagt Ökonom Krämer, „vorausgesetzt, dass der Ukraine-Krieg nicht weiter eskaliert und die Covid-Pandemie in China nicht außer Kontrolle gerät.“
Kerninflationsraten bleiben hartnäckig hoch
Gemischt sind die Aussichten beim Thema Inflation: Zwar liege der Höhepunkt des Inflationsdrucks weltweit vermutlich hinter uns, weil die zyklischen Komponenten der Inflation, insbesondere die Energiepreise, sich deutlich abschwächen. Die strukturellen Bestandteile des Preisdrucks dürften jedoch verhindern, dass der Inflationsrückgang ganz schnell und problemlos verlaufe. So sei zuletzt der Rückgang der Dienstleistungspreise weniger schnell erfolgt als im verarbeitenden Gewerbe. „Dies liegt zum Teil daran, dass die Arbeitsmärkte ziemlich eng bleiben. Hier spielt auch die Demographie eine Rolle“, erläutert Krämer. „Zudem wirken die zahlreichen staatlichen Eingriffe in vielen Ländern inflationär ebenso wie die Bekämpfung des Klimawandels durch die Internalisierung der negativen externen Kosten der Produktion in die Preisbildung.“ Nach Einschätzung Krämers dürfte sich die sogenannte „Headline Inflation“ relativ schnell absenken lassen, die Kerninflationsraten jedoch ein längerfristiges Problem darstellen.
Vor diesem Hintergrund sei nicht klar, wie die Zentralbanken agieren würden. „Die Märkte haben zwar eingepreist, dass Fed und EZB bis Mitte 2023 weitere Zinserhöhungen vornehmen“, so Krämer, „aber sie erwarten dann relativ schnell eine stabile Geldpolitik oder gar Zinssenkungen.“ Dies passe nicht so recht in die Vorstellung einer nur milden Rezession bei einer hartnäckig verharrenden Kerninflationsrate. „Hier könnten für die Kapitalmärkte Risiken bestehen, wenn der ,Leitzinsoptimismus‘ sich als trügerisch erweisen sollte“, betont Krämer.
Was bedeutet das für Anleger?
Gegenüber dem Rentenmarkt ist Investment-Strategin Desiree Sauer für 2023 insgesamt optimistisch eingestellt: „Auf Basis der Inflationserwartungen sind viele Realrenditen mittlerweile wieder positiv. Die Zeit, in der Anleihen kaum noch eine Funktion in der Kapitalanlage hatten, ist definitiv vorüber.“
Die Bewertungen am Aktienmarkt hätten nach dem Ausverkauf des letzten Jahres deutlich nachgelassen, weil die Kurse gefallen, die Erwartungen für die Unternehmensgewinne aber relativ unverändert geblieben seien. „Diese Erwartungen sind vermutlich angesichts der kommenden Rezession etwas zu hoch, aber die Bewertungen preisen wieder einen Risikopuffer und mehr Potenzial ein“, so Sauer.
Das vielfach gehörte „There Is No Alternative (TINA)“-Argument, also die Annahme, dass große Teile des Rentenmarkts so unattraktiv sind, dass sie als Anlagealternative kaum noch infrage kommen, gelte definitiv nicht mehr. Dennoch sind aus Sicht der Investmentstrategin die Gewinn- und Dividendenrenditen relativ zu den Renditen am Rentenmarkt immer noch in Ordnung, zumindest in Europa. Balanced-Mandate bzw. Multi-Asset-Ansätze könnten in diesem Umfeld eine Renaissance erleben. „Aktien sind wieder günstiger und damit chancenreicher, Renten bieten einen attraktiven Kupon und wieder mehr Sicherheit“, fasst Werner Krämer zusammen.
Bei Risikoassets sind die beiden Experten trotz aller Risiken mittelfristig moderat optimistisch. „Die Zentralbanken werden die Gangart zwar weiter verschärfen und die Liquidität verknappen, diesen Schritt aber sehr vorsichtig angehen, um die Rezessionsrisiken und die Marktreaktionen mit ins Kalkül zu ziehen“, analysiert Desiree Sauer.
Stabilität durch Qualitäts-Aktientitel, Chancen bei EM-Unternehmensanleihen
Da das Rückschlagsrisiko bei der Aktienanlage weiterhin ausgeprägt sei, kann aus Sicht der Strategin eine Anlage in Substanzwerte sinnvoll sein: „Qualitätstitel reduzieren das Verlustrisiko, denn sie weisen neben einer großen Sicherheit, einen niedrigen Verschuldungsgrad, Stabilität sowie Prognostizierbarkeit und Profitabilität auf. Die langfristige Outperformance des Qualitäts-Faktors gegenüber dem Markt ist wissenschaftlich belegt“, so Sauer. Sie hält insbesondere so genannte Economic Franchise-Unternehmen, eine Unterkategorie der Qualitätstitel, im aktuellen Umfeld für interessant. „Mit Economic Franchise sind nicht, wie der Name suggerieren könnte, Franchise-Unternehmen im klassischen Sinne wie McDonald`s oder Burger King gemeint, sondern Unternehmen, die einen ökonomischen Franchise-Charakter aufweisen“, erläutert Sauer. „Das sind Unternehmen, die sich durch gut prognostizierbare Cashflows sowie große Wettbewerbsvorteile auszeichnen und in der Regel eine auskömmliche Dividende zahlen.“ Im Vergleich zum breiteren Markt hätten Economic Franchise-Unternehmen in der Vergangenheit höhere und stabilere Gewinnspannen aufgewiesen – ein klarer Vorteil in einem weiterhin inflationären Umfeld.
Auch Unternehmensanleihen aus den Schwellenländern sind aus Sicht der Investmentstrategin 2023 wieder interessant. Diese böten Anlegern höhere Renditen und Spreads im Vergleich zu Papieren mit ähnlicher Bonitätseinstufung aus den USA oder Europa. „Wir sind der Überzeugung, dass die Märkte für EM-Unternehmensanleihen strukturell attraktiv sind“, sagt Desiree Sauer. „Anleger profitieren einerseits von der ,Überkompensation‘ des Kreditrisikos und andererseits von der hohen Diversifikation zu anderen festverzinslichen Anlagen.“
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