Darf Google untersagt werden, ältere negative Presseberichte über eine Person in der Trefferliste anzuzeigen? Über diese hoch spannende Frage zum Recht auf Vergessenwerden wird der Bundesgerichtshof (BGH) am kommenden Montag, den 27. 7. 2020,  entscheiden. Damit urteilen die Bundesrichter erstmalig über Löschungsansprüche gegenüber Google nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Rechtsanwalt Christian Solmecke fasst die bevorstehende Entscheidung für Sie zusammen und klärt die wichtigsten Rechtsfragen in unserem FAQ. 

Der BGH wird gleich in zwei Fällen über die Fragen urteilen, ob Google unliebsame Presseberichte aus der Vergangenheit aus seiner Ergebnisliste löschen muss (BGH, AZ. VI ZR 405/18 und Az. VI ZR 476/18). In beiden Fällen geht es um einen Löschungsanspruch aus Art. 17 DSGVO, der Vorschriften zum Recht auf Vergessenwerden enthält. Die Norm verlangt eine umfassende Interessensabwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Löschungsinteresse des Betroffenen.

Darum geht es in den Verfahren:

1. Verfahren VI ZR 405/18:

Im ersten Verfahren hatte ein Geschäftsführer eines Regionalverbandes einer Wohlfahrtsorganisation geklagt. Im Jahr 2011 wies dieser Regionalverband ein finanzielles Defizit von knapp einer Million Euro auf. Kurz zuvor meldete sich der Geschäftsführer krank. Über beides berichtete seinerzeit die regionale Tagespresse unter Nennung seines vollen Namens.  Der Geschäftsführer möchte nunmehr von Google, dass die Suchmaschine es unterlässt, die entsprechenden Presseartikel bei einer Suche nach seinem Namen in der Ergebnisliste anzuzeigen.
Das Landgericht Frankfurt am Main hatte die Klage abgewiesen (LG Frankfurt, Urteil vom 26. Oktober 2017, Az. 2-03 O 190/16).
Die Berufung des Mannes vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hatte ebenfalls keinen Erfolg (Urteil vom 6. September 2018, Az. 16 U 193/17). Das OLG entschied, dass es Google nicht generell untersagt werden dürfe, ältere negative Presseberichte über eine Person in der Trefferliste anzuzeigen, selbst wenn diese Gesundheitsdaten enthielten.
Der Ex-Geschäftsführer könne sich im Ergebnis nicht auf einen Unterlassungsanspruch aus Art. 17 DSGVO berufen. Bei einer Abwägung zwischen dem klägerischen Recht auf informationelle Selbstbestimmung und dem Recht von Google und seinen Nutzern auf Informationsfreiheit, müsse das Anonymitätsinteresse des Mannes zurücktreten.
Dabei sei zu beachten, dass Suchmaschinenbetreiber wie Google aufgrund ihrer besonderen Stellung erst dann handeln müssten, wenn sie durch „einen konkreten Hinweis Kenntnis von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts … durch den Inhalt einer in der Ergebnisliste der Suchmaschine nachgewiesenen Internetseite erlangt haben“. Zu einer präventiven Kontrolle sei Google nicht verpflichtet. An einer derartigen Rechtsverletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fehle es hier. Die ursprüngliche Berichterstattung sei rechtmäßig gewesen.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem vom EuGH erstmals anerkannten „Recht auf Vergessenwerden“. Die vom EuGH festgelegten Abwägungskriterien könnten hier nicht schematisch auf die Normen der DSGVO angewendet werden. Stattdessen sei den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen.

2. Verfahren VI ZR 476/18:

Im zweiten Verfahren klagte ein Paar. Der Mann ist in verschiedenen Gesellschaften in führender Position und seine Lebensgefährtin in einer dieser Unternehmen Prokuristin. Auf der Webseite eines US-amerikanischen Unternehmens, dessen Ziel es nach eigenen Angaben sei, "durch aktive Aufklärung und Transparenz nachhaltig zur Betrugsprävention in Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen", erschienen im Jahr 2015 mehrere Artikel, die sich kritisch mit dem Anlagemodell einzelner dieser Gesellschaften auseinandersetzten. Einer dieser Artikel war mit Fotos des Paares bebildert. Über das Geschäftsmodell der Betreiberin der Webseite wurde seinerseits kritisch berichtet, u.a. mit dem Vorwurf, sie versuche, Unternehmen zu erpressen, indem sie zunächst negative Berichte veröffentliche und danach anbiete, gegen ein sog. Schutzgeld die Berichte zu löschen bzw. die negative Berichterstattung zu verhindern. Das Paar machte in der Folge gerichtlich geltend, ebenfalls erpresst worden zu sein. Sie verlangten von Google, es zu unterlassen, die genannten Artikel bei der Suche nach ihren Namen und den Namen verschiedener Gesellschaften in der Ergebnisliste zu verlinken und die Fotos von ihnen als sog. "thumbnails" anzuzeigen. Sie beriefen sich darauf, dass die Berichte unwahr seien.
Das LG Köln hatte die Klage jedoch abgewiesen (LG Köln, Urteil vom 22. November 2017, Az. 28 O 492/15).
Auch die Berufung vor dem OLG Köln blieb ohne Erfolg (OLG Köln, Urteil vom 8. November 2018, Az. 15 U 178/17). Da ein Suchmaschinenbetreiber, so das OLG, in keinem rechtlichen Verhältnis zu den Verfassern der in den Ergebnislisten nachgewiesenen Inhalten stehe, sei ihm die Ermittlung und Bewertung des Sachverhalts nicht möglich. Soweit maßgeblich auf den Wahrheitsgehalt der behaupteten Tatsache abzustellen sei, treffe die Darlegungs- und Beweislast hierfür daher in jedem Fall den Steller eines Löschungsanspruchs aus der Google-Trefferliste (sog. Auslistungsanspruch). Das Paar hätte Google jedoch keine offensichtliche und auf den ersten Blick klar erkennbare Rechtsverletzung dargelegt.

FAQ zum Recht auf Vergessenwerden – Rechtsanwalt Christian Solmecke klärt auf!

Worauf beruht eigentlich dieses Recht auf Vergessenwerden?

Christian Solmecke:„ Das Recht auf Vergessenwerden beruht auf Art. 17 DSGVO. Dieser besagt, dass jede Person von einem für die Datenverarbeitung Verantwortlichen verlangen kann, dass personenbezogene Daten, die sie betreffen, unverzüglich gelöscht werden. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn nach Jahren immer noch unangenehme Presseberichte über eine Person über Google zu finden sind. Dann kann die betroffene Person die Löschung der Links in der Google-Ergebnisliste verlangen. Für den Löschungsanspruch müssen aber gewisse Voraussetzungen erfüllt sein. Zum Beispiel kann die betroffene Person, ihre ursprüngliche Einwilligung in die Datenverarbeitung widerrufen oder die Datenverarbeitung war generell unrechtmäßig.“

Warum hat das zu erwartende Urteil eine so große Bedeutung?

Christian Solmecke:„ Alle Normen der DSGVO, so auch Art. 17 DSGVO, schützen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Demnach hat der Einzelne das Recht, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist als Bestandteil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein sehr hohes Gut. In den zu entscheidenden Fällen ist es mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit abzuwägen. Die Bundesrichter müssen so entscheiden, dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen weiterhin ausreichend geschützt ist.

Das heutige Urteil ist außerdem von besonderer Bedeutung, da Löschungsfragen nach der 2018 in Kraft getretenen DSGVO bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt sind.“

Wie weit geht das Urteil und an wen richtet es sich?

Christian Solmecke:„ Das Urteil richtet sich erst einmal nur gegen Suchmaschinen wie Google und deren Verlinkungen auf im Internet verfügbare Presseartikel. Mit einem erfolgreichen Löschantrag gegen Google lassen sich unliebsame Ergebnisse zu einem bestimmten Suchbegriff entfernen. Die Suchergebnisse werden dann nicht mehr gelistet. Die Presseartikel auf den Websites, auf die verlinkt wird, werden allerdings nicht gelöscht.  Für Betroffene ist durch die Löschung des Google-Eintrags trotzdem schon viel gewonnen: Was bei Google nicht auftaucht, wird von den meisten Leuten im Internet nicht mehr gefunden.
Natürlich kann es am kommenden Montag auch um allgemeine Auslegungsfragen zu Art. 17 DSGVO gehen. Mit Art. 17 DSGVO können Löschungsansprüche auch in anderen Konstellationen durchgesetzt werden. Die DSGVO ist als EU-Verordnung jedoch Unionsrecht. Geht es daher um ihre Auslegung, muss der Europäischen Gerichtshof (EuGH) entscheiden. Der BGH kann den EuGH dazu anrufen."

Wie stehen denn die Erfolgschancen, wenn man gegen Google etwas durchsetzen möchte?

Christian Solmecke:" Wenn man gegen Google vorgehen und einen Link aus der Suchergebnisliste löschen lassen will, muss man viel Geduld mitbringen. Nicht selten kommt es vor, dass Google bei einem Löschungsantrag erst einmal nicht reagiert oder sich komplett quer stellt.
Wenn Google den Löschungsantrag ablehnt, kann man sich an den Datenschutzbeauftragten seines Bundeslandes wenden. Wenn dieser im Streitfall nicht vermitteln kann, steht einem auch der Klageweg offen.
Spätestens wenn man Klage erhebt, sollte man sich von einem Rechtsanwalt beraten lassen."

Über Wilde Beuger Solmecke

Die Kölner Kanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE hat sich auf die Beratung der Online- und Medienbranche spezialisiert. Insgesamt arbeiten in der Kanzlei 20 Anwälte. Rechtsanwalt Christian Solmecke hat in den vergangenen Jahren den Bereich Internetrecht/E-Commerce sowie die Bereiche Verkehrsrecht und Datenschutzrecht stetig ausgebaut. Gemeinsam mit seinem Team vertritt er zahlreiche betroffene Kunden rund um den Abgasskandal. Darüber hinaus betreut er zahlreiche Medienschaffende und Web 2.0 Plattformen.

Neben seiner Kanzleitätigkeit ist Christian Solmecke auch Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Kommunikation und Recht im Internet (DIKRI) an der Cologne Business School (http://www.dikri.de). Dort beschäftigt er sich insbesondere mit den Rechtsfragen in Sozialen Netzen. Vor seiner Tätigkeit als Anwalt arbeitete Solmecke mehrere Jahre als Journalist für den Westdeutschen Rundfunk und andere Medien.

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