Rund acht Millionen Menschen gelten in Deutschland als schwerbehindert. Fast jede elfte Person lebt also mit einer Beeinträchtigung ihrer körperlichen oder geistigen Fähigkeiten, beziehungsweise ihrer seelischen Gesundheit. Die Gründe sind vielfältig. Ein Teil davon ist angeboren oder die Folge eines Unfalls, in den meisten Fällen war eine Krankheit ausschlaggebend. Daher handelt es sich bei den betroffenen Menschen häufig um Fachkräfte, die nach ihrer Genesung händeringend versuchen, wieder auf den Arbeitsmarkt zu gelangen. Das Potenzial ist riesig, doch Betriebe sind oft von falschen Annahmen abgeschreckt und es mangelt an Aufklärung. Damit verzichten sie jedoch auf dankbare Teammitglieder, die ihren Teil beitragen möchten. Und sie verzichten auf beträchtliche finanzielle Anreize des Staates. Kurz gesagt: auf Personal und Geld.

Die Branche kann sich Berührungsängste nicht leisten

Berührungsängste sind also fehl am Platz. Angesichts der prekären Lage kann sich das Gastgewerbe ein solches Zögern aber nicht leisten. Die Branche erholt sich nur schleppend von den Corona-Auflagen und kämpft seit Monaten mit einem gewaltigen Personalmangel. Meistens sind der Service und Tätigkeiten hinter den Kulissen betroffen, etwa im Spülbereich. Doch ohne Geschirr, kein Betrieb. Zusätzliche Ruhetage ermöglichten vielen Betrieben zumindest einen holprigen Restart, bevor der Ukrainekrieg die Preise in die Höhe trieb. Und so locken die Temperaturen trotz Sommerwelle zwar viele Gäste in Bars, Restaurants und Urlaubsorte, doch ein Ende des Leidenswegs scheint nicht in Sicht.

Mit Blick auf einen ungewissen Pandemie-Herbst und dem ohnehin mäßigen Image in puncto Arbeitsbedingungen bleibt eine schnelle Trendwende wohl aus und bitter benötigte Einnahmen auf der Strecke. Wo das Personal geblieben sei und wie zumindest Teile davon für das Gastgewerbe zurückgewonnen werden können, sind wichtige Fragen. Doch über bessere Löhne nachzudenken, ist nicht genug und keine Entlastung für angeschlagene Betriebe.

Die finanziellen Anreize sind enorm

Angesichts dessen drängt sich die Frage auf, weshalb viele Arbeitssuchende systematisch ausgeklammert werden, selbst wenn ihr Handicap je nach Arbeitsplatz nicht ins Gewicht fällt. Von den finanziellen Anreizen ganz zu schweigen. Wie Inklusion gelingt, zeigt das Beispiel des Fairhotels in Jena: „Informiert euch, die Ämter fördern das“, rät Ivo Knoll schon seit Jahren. Der F&B-Manager weiß, wovon er spricht. In der Spülküche sorgt Leon K. für sauberes Geschirr. Der 26-Jährige ist eine der wenigen schwerbehinderten Personen in ganz Thüringen, die sich über eine Vollzeitstelle in der Privatwirtschaft freuen kann. Er absolvierte bereits seine Ausbildung im Fairhotel.

Um das zu ermöglichen, finanzierte das zuständige Integrationsamt den behindertengerechten Arbeitsplatz im Spülbereich. Was nach abschreckender Bürokratie klingen mag, war mit der Anschaffung einer neuen Spülmaschine schnell getan. Die bisherige Maschine war ohnehin in die Jahre bekommen und das Modell M-iClean H des deutschen Herstellers Meiko wurde dank Haubenautomatik und automatischer Korberkennung als behindertengerechter Arbeitsplatz anerkannt. Das Amt übernahm daher ein Drittel der Kosten, da neben Leon zwei weitere Kollegen an der Maschine arbeiten; auch die volle Finanzierung ist möglich. Mit der Anstellung entfällt zudem die Ausgleichsabgabe, die je nach Mitarbeiterzahl entrichtet werden muss, wenn keine schwerbehinderten Menschen angestellt sind. Ausgaben sinken, der Spülbereich ist wieder auf dem neuesten Stand und Leon steht seither auf eigenen Beinen.

Vergleichbare Win-win-Situationen sucht man vergebens

Eine solche Win-win-Situation hat Seltenheitswert und neben den Betroffenen profitieren die Gesellschaft und Betriebe gleichermaßen. Geförderte Ausbildungskosten, die Anschaffung von Maschinen, Betreuung, der Wegfall der Ausgleichsabgabe und vieles mehr – die finanziellen Anreize sind enorm. Doch auch in Jena gab es anfangs offene Fragen. Dann kommen die Integrationsämter ins Spiel. „Der Kontakt war immer sehr gut. Man hilft sich wechselseitig und arbeitet Hand in Hand“, fasst Knoll seine Erfahrungen zusammen. Austausch ist das A und O, denn allen ist daran gelegen, dass die Inklusion gelingt. Und das tut sie selbst im kräftezehrenden Spülbereich. Exzellente Ergebnisse in kurzer Zeit sind Pflicht und bei 250 Spülzyklen bricht der Strom an Geschirr im Fairhotel nie ab. Leon beherrscht sein Einsatzgebiet jedoch perfekt und zeigt, wie sehr Betriebe, betroffene Menschen und Integrationsämter von Aufgeschlossenheit und intelligenter Technik profitieren.

Den aktuellen Personalmangel kann Inklusion nicht auffangen, aber die ungenutzten Chancen sind enorm. Betriebe gewinnen motivierte Menschen, die auf ihre Chance warten und finden in den Integrationsämtern wertvolle Helfer. Von der Vielfalt in der eigenen Belegschaft und den Chancen für Betroffene ganz zu schweigen. Durch das Nutzen bereits bestehender Chancen lässt sich hier langfristig sehr viel bewegen und dem Personalmangel am Ende zumindest etwas Gutes für einen großen Teil der Gesellschaft und das Gastgewerbe abgewinnen.

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