Die EU-Kommission hat Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt, weil das Land seine Verpflichtungen im Rahmen der Habitat-Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Richtlinie 92/43/EWG) nicht eingehalten habe. Nach den Richtlinien müssen die Mitgliedstaaten besondere Schutzgebiete ausweisen und gebietsspezifische Erhaltungsziele sowie entsprechende Erhaltungsmaßnahmen festlegen, um einen günstigen Erhaltungszustand der dortigen Arten und Lebensräume zu erhalten oder wiederherzustellen, so die Kommission.

Die Frist für die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen für alle Gebiete in Deutschland ist in einigen Fällen vor mehr als zehn Jahren abgelaufen. Auch die Aufforderungsschreiben der EU-Kommission aus 2015 und 2019 blieben ohne Konsequenzen. Nach den jüngsten Informationen der Behörden hat Deutschland eine bedeutende Anzahl von Gebieten immer noch nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen.

Unzureichende Managementpläne

„Abgesehen von der noch nicht abgeschlossenen Erstellung von Managementplänen zu den EU-Schutzgebieten wird von der EU-Kommission auch bemängelt, dass in den erstellten Plänen oft nur unscharfe Zielvorgaben formuliert werden oder dass diese nicht wie geplant umgesetzt werden“, erklärte Harry Neumann, Vorsitzender der Naturschutzinitiative e.V. (NI).

Bezüglich der Verpflichtung wird in den Ländern meist betont, dass Umsetzung der EU-Vorgaben in den FFH-Gebieten v.a. eine Sache des Landes sei und dass die betroffenen privaten Grundstückbesitzer nur auf freiwilliger Basis einbezogen würden. Sonderbarerweise weise man gerade im Staatsforst diese Verpflichtung von sich, wenn es um die Erhaltung von nicht auch als Wirtschaftswald nutzbaren Biotopflächen gehe, so der Umweltverband.

Unzureichender Zustand im FFH Gebiet Leuscheider Heide

Nachmeldung des Naubergs im Westerwaldkreis und des Wiedtals im gesamten Kreis Altenkirchen als FFH- und Vogelschutzgebiet

NI-Naturschutzreferent, Dipl.-Biologe Immo Vollmer, führt das FFH-Gebiet „Leuscheider Heide“ aus dem Kreis Altenkirchen als markantes Beispiel an. „Der Name täuscht: bislang prägten Fichtenforste das Bild. Von den atlantischen Feuchtheiden kann Rheinland-Pfalz aber landesweit nur sehr wenige Flächen vorweisen. Entsprechend sind die wenigen vorhandenen Flächen alle zu sichern und weitere auf Potenzialflächen zu entwickeln. Bisherige Flächenentwicklungen treffen das vorhandene Standortpotenzial noch ungenügend. Formell liegen die Biotopflächen in der ‚Leuscheider Heide‘ zwar in dem FFH-Gebiet, die notwendige qualitative Entwicklung ist aber unzureichend“, so Biologe Immo Vollmer.

Einer Optimierung in den bisherigen besten Potenzialstandorten stand ein hierauf stockender lückiger Nadelwald im Wege. Da dieser im Rahmen der Borkenkäferkalamität nun großflächig abgestorben ist, ergeben sich nun beste Chancen für eine Umsetzung von Zielen der FFH-Richtlinie. Biologe Immo Vollmer, der sich vor einem Jahr an das Forstamt Altenkirchen gewandt hatte, musste aber vom damaligen Forstamtsleiter erfahren, dass der Forst keinen weiteren Quadratmeter für eine Heideentwicklung hergeben wolle. Man halte diesen Standort noch für produktiv und könne wenig Verständnis für die Förderung von Heidebiotopen im Wald aufbringen. Eine ähnliche Auskunft gab es im vergangenen Jahr bei einer Begehung zwischen Forst, Biotopbetreuer sowie der Naturschutzverwaltung.

„Scheinbar misst man hier mit zweierlei Maß und möchte den FFH-Verpflichtungen nicht nachkommen, wenn eigene wirtschaftliche Interessen berührt sind“, so der Umweltverband  Naturschutzinitiative (NI). „Angesichts der EU-Klage werde der Forst im Kreis Altenkirchen wie in vielen weiteren Gebieten zur Einsicht kommen müssen, dass die Fläche auch qualitativ im Sinne der FFH-Richtlinie zu optimieren ist“, so Biologe Immo Vollmer.

Auch in der offenen Kulturlandschaft gibt es große Defizite in der Umsetzung, v.a. dort, wo sich keine einvernehmliche Lösung mit der Landwirtschaft abzeichnet: Der Entwertung von artenreichem Grünland ist entschiedener entgegenzuwirken. Besonders in FFH-Gebieten müssen verbindlich großflächig intakte und blütenpflanzenreiche Wiesen und Weiden erhalten und entwickelt werden.

„Wer also bisher meinte, Deutschland und Rheinland-Pfalz seien im Naturschutz ein ‚Musterknabe‘, der alles im Sinne der EU besser macht als die anderen Länder, wird hiermit eines Besseren belehrt“, so Landesvorsitzender Harry Neumann.

Das Land muss vielmehr stärkere Verantwortung zeigen und seiner Vorbildfunktion gerecht werden. Dazu gehören z.B:

  1. Nachmeldung des Naubergs im Westerwaldkreis und des Wiedtals im gesamten Kreis Altenkirchen als FFH- und Vogelschutzgebiet
  2. Verbindliche und überprüfbare Zielvorgaben in den FFH- und Vogelschutzgebieten festlegen
  3. Ein verbindliches Monitoring in europäischen Schutzgebieten etablieren, bei dem Naturschutzverbände und lokale Naturkenner eingebunden werden
  4. Weitere FFH- und Vogelschutzgebiete ausweisen in den Fällen, wo die Schutzgüter des europäischen Arten- und Biotopschutzes nur unzureichend berücksichtigt wurden, z.B. beim Rotmilan. Hierzu gehört auch die Berücksichtigung der unterschiedlichsten Ausbildungen der FFH- Lebensraumtypen in den Regionen
  5. Die Nutzung der derzeitigen Borkenkäferkalamitäten für eine nachhaltige Entwicklung im Wald. Den nach EU-Recht schutzbedeutsamen Nichtwaldbiotopen ist auch im Wald ein substanzieller Flächenanteil auf den dafür geeignetsten Standorten zu geben. Darüber hinaus hat sich die Wiederbewaldung in den FFH-Gebieten alleine nach den hier natürlich vorkommenden schutzbedeutsamen Waldgesellschaften auszurichten.
  6. Verzicht auf den Einsatz von Bioziden
  7. Ausweisung der FFH- und Vogelschutzgebiete als Naturschutzgebiete wie von der EU-Kommission vorgesehen

„Europäische FFH-Schutzgebiete haben es verdient, mehr als reine Lippenbekenntnisse zu sein. Sie müssen Kernbereiche der Biodiversität werden. Dies ist umso erstaunlicher, als in Rheinland-Pfalz seit 10 Jahren ein von den Grünen geführtes Umweltministerium für den Naturschutz zuständig ist. Es ist nur traurig, dass in Deutschland scheinbar erst etwas in Bewegung gerät, wenn Gerichte dies anordnen“, betonten Harry Neumann, Vorsitzender der NI und Dipl.-Biologe Immo Vollmer.

Über Naturschutzinitiative e.V. (NI)

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Unsere Arbeit wird bundesweit von mehr als 50 Länder- und Fachbeiräten ehrenamtlich unterstützt. Wir finanzieren uns ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden von Privatpersonen und Stiftungen, die unsere Ziele unterstützen.
Wir freuen uns über weitere Mitglieder und Förderer, die unsere Arbeit unterstützen möchten und denen es wie uns eine Herzensangelegenheit ist, sich für den Natur- und Artenschutz einzusetzen.

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