Amoyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS genannt, ist eine Erkrankung, die schleichend und mit scheinbar harmlosen Symptomen beginnt. „Viele meiner Patienten berichten von einer anfänglichen Schwäche in den Händen oder Füßen.“, beschreibt Theresa Bräuter, Ergotherapeutin im DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e. V.), erste Anzeichen von ALS. Für ALS gibt es bislang keine ursächliche Behandlung; ALS ist derzeit nicht heilbar. Umso wichtiger ist es, dass sich alle in die Therapie dieser Krankheit Involvierte intensiv austauschen, um eine maximale Linderung der Symptome und das Optimum an Lebensqualität für die Patienten zu bewirken.

Ein Hauptproblem bei ALS sind die späten Diagnosen. Die häufigsten Symptome wie Probleme beim Greifen oder eine Gangunsicherheit nehmen viele Betroffene zunächst nicht ernst. Möglicherweise auch deshalb, weil sie zuerst nicht bei allen dauerhaft auftreten oder die älteren Betroffenen sie als beginnende Alterszipperlein abtun. „Es mag beruhigend sein, vom Arzt zu hören, dass alles gut ist.“, bestätigt die Ergotherapeutin Theresa Bräuter ein weit verbreitetes, sehr menschliches Verhalten. Gleichzeitig bestärkt sie aber alle, die bemerken ‚da passt etwas nicht, es fühlt sich etwas nicht richtig an‘ auf ihre innere Stimme zu hören, zügig einen Arzt aufzusuchen und nötigenfalls hartnäckig zu sein. Denn meist vergehen Monate, bis alle neurologischen Untersuchungen und nötige Ausschlussverfahren Klarheit bringen, ob ALS Grund für die Beschwerden ist.

ALS und der Faktor Zeit: zügig und vorausschauend handeln
ALS ist eine schnell fortschreitende Erkrankung. „Die ersten Maßnahmen, direkt nach der Befunderhebung, sind daher die Beratung und das Ordern von Hilfsmitteln.“, erklärt die Ergotherapeutin. Bei Patienten mit ALS ist vieles anders, auch bei diesem Thema: Ist es sonst üblich, so wenig wie möglich, aber gerade so viel wie nötig Hilfsmittel zu verordnen, ist es bei ALS besser, grundsätzlich so viel als möglich zu unterstützen. Und vorausschauend zu handeln, was hier auch bedeutet, Lieferzeiten zu berücksichtigen. Denn die Zeit ist bei ALS ein wichtiger Faktor. Angefangen von adaptiertem Besteck mit dickeren Griffen über Badewannenlifte, einen elektrischen Rollstuhl oder Sprachcomputer sind viele Hilfsmittel nötig, um den Erkrankten muskelschonend und dennoch möglichst selbstständig durch den Tag zu bringen. Die Ergotherapeutin dazu: „Wer ALS hat, muss erst einmal verstehen und verinnerlichen, dass vieles nicht mehr gilt. Beispielsweise, dass die schwindende Muskulatur sich nicht mehr aufbauen lässt.“ Im Gegenteil: Wer so wie sonst trainiert, also bis zur Muskelerschöpfung, verbraucht seine Reserven. Ergotherapeuten wie Theresa Bräuter sprechen und trainieren daher mit ihren ALS-Patienten, damit diese ihre Grenzen erkennen und mit ihren Kräften haushalten lernen.

Ergotherapeuten und andere Disziplinen: Aufgaben aufteilen
In engem Austausch miteinander stimmen sich alle Disziplinen ab, welche Aufgaben in ihrem Bereich jeweils vorrangig sind, um den Patienten mit ALS bestmöglich zu versorgen und seine aktuellen Probleme zu mindern. Und sie tauschen sich über den Verlauf der Krankheit aus, um ihre Behandlungskonzepte jeweils optimal anzupassen. „Ein zentraler Aspekt, den ich aufgrund meiner Erfahrung mit ALS von Anfang an verfolge, ist, die Patienten mit ALS aufrecht zu halten. Eine Aufgabe, bei der es Überschneidungen mit der Physiotherapie gibt. Zum Wohle des Patienten übernimmt dann derjenige, der es am besten in seinen Teil der gesamten Intervention integrieren kann. Die ergotherapeutische Intervention hat zusätzlich den Nutzen, dass die entsprechenden Übungen immer an Handlungen im Alltag gekoppelt sind wie: einen Becher oder das Besteck greifen und so weiter. Aus ihrer Erfahrung mit ALS-Patienten weiß Bräuter, wie wichtig es ist, sich sofort um die Rumpfmuskulatur zu kümmern, auch wenn sie noch nicht betroffen ist. Die Ergotherapeutin veranschaulicht dieses Vorgehen: „Lebensnotwendige Funktionen gelingen in aufrechter Haltung leichter und besser. Schon eine schwächer werdende Halswirbelmuskulatur erschwert oder verhindert vieles: Der Kopf fängt an zu hängen, was das Atmen, Schlucken oder Sprechen behindert.“ Patienten, die wegen der versagenden Zungenmuskulatur nicht mehr sprechen können, können mithilfe eines augengesteuerten Sprachcomputers gut kommunizieren. Schwindet die Kraft ihrer Halswirbelmuskulatur, greift die Ergotherapeutin kurzerhand zum Tape und richtet damit den Kopf wieder auf, sodass die Augen auch tatsächlich den Computer und selbstverständlich auch die restliche Außenwelt erreichen.

Ergotherapeutische Zusammenarbeit mit Patienten: Ziele setzen, verfolgen, erreichen
Ein maßgeblicher Part der ergotherapeutischen Behandlung ist, gemeinsam mit dem an ALS Erkrankten Ziele zu erarbeiten, herauszufinden: Was macht das Leben dieses Menschen aus? Herauszuarbeiten, welche Ziele, die seinen Alltag betreffen, lassen sich erreichen und was ist nötig, um dies zu realisieren. Theresa Bräuter berichtet in diesem Zusammenhang von einem jungen Patienten, für den die Arbeit besonders bedeutungsvoll war. Gemeinsam haben Ergotherapeutin, Patient und Arbeitgeber eine berufliche Wiedereingliederung besprochen und herbeigeführt. Und dazu den Arbeitsplatz und das Umfeld entsprechend umgestaltet und die nötigen Hilfsmittel beschafft. Vielen anderen ALS-Patienten ist das private und soziale Umfeld von größter Bedeutung. Ergotherapeuten beziehen dann immer wieder Angehörige oder Freunde des Patienten mit in die Therapie ein. Neben der Aufklärung über die Erkrankung geben Ergotherapeuten auch oft Gedankenanstöße, erklären, wie sich der Betroffene in bestimmten Situationen fühlt und wie die Menschen in seiner Umgebung angemessen agieren und reagieren können. Denn weder Bemuttern noch im Stich lassen sind sinnvolle Verhaltensweisen im Umgang mit dem Anderen, auch wenn er ALS hat.

Gerade bei ALS: Themen offen und ehrlich ansprechen
Neben dem körperlichen Training nutzen Ergotherapeuten ihre Behandlungszeit, um gleichzeitig alle weiteren Themen zu klären, die aktuelle Situation und Befindlichkeiten der Patienten zu beleuchten und auch Fragen, die die Zukunft betreffen, zu beantworten. ALS geht mit vielen Ängsten einher. Die Patientenaufklärung sowie das offene und ehrliche miteinander sprechen sind entscheidende und Vertrauen bildende Elemente in der Ergotherapie. Denn die Themen bei ALS sind heikel und schmerzhaft. Doch hat die Ergotherapeutin sehr gute Erfahrung mit ihrer einfühlsamen aber dennoch zielgerichteten und ehrlichen Kommunikation gemacht. Sie bespricht mit ihren ALS-Patienten wirklich alles, auch – und das schon zu einem möglichst frühen Zeitpunkt – die Patientenverfügung und ob die Patienten ihre letzten Stunden lieber zuhause oder im Hospiz verbringen wollen. Das Feedback gibt ihr Recht; Sätze wie: ‚Sie haben mir die Angst genommen, ich weiß, was auf mich zukommt‘, bestätigen dieses ergotherapeutischen Vorgehen.

Informationsmaterial gibt es bei den Ergotherapeuten des DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.); Ergotherapeuten in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes im Navigationspunkt Service und Ergotherapeutische Praxen, Suche.

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