Mit den Rechten der Kinder und Jugendlichen steht es aktuell leider nicht zum Besten. Viel über den Stellenwert von Kindern und Familien in unserer Gesellschaft lässt sich zunächst aus der Bewältigung der Corona-Pandemie lernen. Schulen und Kindertageseinrichtungen waren die ersten Einrichtungen, die im März 2020 geschlossen wurden, und es sind die letzten Einrichtungen, die Mitte 2021 in einen Normalbetrieb zurückkehrt sind. Kinder wurden mit ihren Bedürfnissen erst sehr spät gesehen und gehört. Die Krisenbewältigung erfolgte über ihre Köpfe hinweg, oft unter Hintanstellung oder gar Missachtung ihres Rechts auf Entwicklung durch Bildung, Gesundheit, Freizeit und Beziehungen zu Dritten.

Die Tatsachen der letzten Monate machen deutlich, dass der „Corona-Schock“ erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung und das Wohlergehen von Kindern gehabt hat. Die Bildungschancen von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen haben sich nochmals verschlechtert; es droht eine Bildungskatastrophe und eine Eskalation der Bildungsungerechtigkeit (Zierer). Die staatlichen Maßnahmen in der Pandemie haben die Zahl psychischer Auffälligkeiten und Erkrankungen bei jungen Menschen deutlich ansteigen lassen. Ob sich diese Folgen kompensieren lassen, ob Kindheit sich gar „aufholen“ lässt, ist fraglich, und vielleicht wäre manches „Aufholprogramm“ auch gar nicht erforderlich, wenn rechtzeitig kinderfreundliche Entscheidungen getroffen worden wären. Bei vielen politischen Entscheidungsträgern fehlte es offensichtlich an einem hinreichenden Bewusstsein darüber, dass Kinder eigenständige Rechtspersönlichkeiten mit spezifischen, entwicklungsbedingten Bedürfnissen sind.

In Bayern leben 2,1 Mio. Kinder. Sie und ihre Familien brauchen mehr als schöne Worte in Wahlprogrammen. Sie brauchen eine Politik, die ihnen Rechte einräumt und diese Rechte auch energisch durchsetzt.

Wir fordern daher insbesondere:

1. Das Grundgesetz muss den Kindern mit einer ausdrücklichen Anerkennung ihrer Rechte endlich eine verfassungsrechtliche Heimat geben – auch, damit Kinder als Rechtssubjekte endlich gesehen, gehört und mit ihrer Meinung ernst genommen werden. Es ist ein politisches Armutszeugnis, dass nach drei Jahrzehnten Diskussion, nach zahllosen Expert:innen-Anhörungen und einem weitgehenden Konsens die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz in der auslaufenden Legislaturperiode erneut gescheitert ist.

Welches Signal von Wertschätzung und politischer Gestaltungskraft wird damit an Kinder und Jugendliche ausgesandt? Eine der wichtigen Aufgaben auf Bundesebene muss daher sein, dieses auch vom Kinderrechteausschuss der Vereinten Nationen als dringlich eingestufte Anliegen endlich umzusetzen. Unser Ruf nach tatkräftiger Unterstützung richtet sich dabei vor allem an die künftig im Bundestag vertretenen bayerischen Abgeordneten, aber auch an die Bayerische Staatsregierung.

2. Die bisherigen Regelungen zu Kinderrechten in der Bayerischen Verfassung sind unzureichend und daher zu ergänzen. Wir regen eine überparteiliche Initiative aller demokratischen Parteien des Bayerischen Landtages an, um spätestens zur Landtagswahl dem Volk ein verfassungsänderndes Gesetz zur Verbesserung der Stellung von Kindern in der Bayerischen Verfassung zur Entscheidung vorlegen zu können. Die wortgewaltige Umarmung der Kinder in Art. 125 Abs. 1 Bayerische Verfassung als „köstlichstes Gut eines Volkes“ verspricht viel und garantiert nichts; die Wendung ist, wie schon der Abgeordnete Dr. Josef Schwalber im vorbereitenden Verfassungsausschuss 1946 festgestellt hat, nur eine „Proklamation“, die keinerlei Rechte begründet. Die Bayerische Verfassung kennt spezifische Kinderrechte weitgehend nur als unverbindliche Programmsätze. Eine Verfassungsreform ist überfällig, wenn Bayern nicht hinter andere Bundesländer und internationale Standards zurückfallen will. Der Kinderschutzbund Landesverband Bayern hatte den Fraktionen des Bayerischen Landtags schon 2016 einen Textvorschlag für eine behutsame Reform der Verfassung übermittelt – bislang ohne Ergebnisse.

3. Kinderrechte müssen in der Bevölkerung, aber auch in Institutionen in ganz Bayern bekannter gemacht werden. Erwachsene, die für Kinder sorgen, sie betreuen oder sie ausbilden, benötigen Wissen und Handlungskompetenz zu Kinderrechten. Denn die Umsetzung von Kinderrechten scheitert oft nicht am Wollen, sondern am Wissen und am Können.

4. Schließlich sollte der Freistaat die Entwicklung eines Kinderrechte-Monitorings vorantreiben. Es gibt bislang keine verbindlichen Indikatoren dafür, festzustellen, ob für die Umsetzung grundlegender Kinderrechte (vor allem der Rechte der aus der UN-Kinderrechtskonvention) in Bayern geeignete Strukturen vorhanden sind. So kann aber der Umsetzungsstand der Kinderrechte auch nicht qualifiziert beurteilt werden.

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