Die  Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen hat am 21. September 2022 die Streichung des Verbots der Ex-Post-Triage im Gesetzentwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes gefordert. In der einstimmig verabschiedeten Resolution forderten die Delegierten zudem eine Anpassung der fachlichen Voraussetzungen für die Zuteilung von Intensivbehandlungsplätzen im Vieraugenprinzip an die Realitäten.

Die Delegierten befürchten, dass am Ende weniger Menschen überleben könnten, weil Ärztinnen und Ärzten juristisch die Hände gebunden würden. „Der Ausschluss der Ex-post-Triage führt dazu, dass die klinische Erfolgsaussicht eines Patienten als zentrales Kriterium der ärztlichen Entscheidung in Notlagen nicht mehr das wichtigste Bewertungskriterium ist.“

Zudem sehe der Gesetzentwurf für die Zuteilungsentscheidung im sinnvollen Vieraugenprinzip weitere Bedingungen an die ärztliche Personalbesetzung vor, die in vielen Kliniken insbesondere nachts und am Wochenende nicht zu gewährleisten und im zeitlichen Druck der Entscheidungsnotwendigkeit auch kaum zu erreichen sei:

„Sie ist einvernehmlich von zwei Ärztinnen oder Ärzten zu treffen, die
1. Fachärztinnen oder Fachärzte sind,
2. im Bereich Intensivmedizin praktizieren,
3. über mehrjährige Erfahrung im Bereich Intensivmedizin verfügen und
4. die von der Zuteilungsentscheidung betroffenen Patientinnen und Patienten unabhängig voneinander begutachtet haben.

Von den an der Zuteilungsentscheidung beteiligten Ärztinnen und Ärzten darf nur eine Ärztin oder ein Arzt in die unmittelbare Behandlung der von der Zuteilungsentscheidung betroffenen Patientinnen oder Patienten eingebunden sein. Ist eine Patientin oder ein Patient mit einer Behinderung oder einer Komorbidität von der Zuteilungsentscheidung betroffen, muss die Einschätzung einer hinzuzuziehenden Person berücksichtigt werden, durch deren Fachexpertise den besonderen Belangen dieser Patientin oder dieses Patienten Rechnung getragen werden kann.“

„Es ist inakzeptabel“, so die Delegierten, „gesetzliche Bedingungen zu schaffen, die kaum umsetzbar sind. Es ist ebenfalls inakzeptabel, Ärzten und Ärztinnen akut Entscheidungen abzuverlangen, die später in aller Ruhe am Schreibtisch beurteilt und strafrechtlich eingeordnet werden können.“ Die Delegiertenversammlung befürchtet daher unter diesen Voraussetzungen eine Abwanderung von Ärztinnen und Ärzten aus der Intensiv- und Notfallmedizin.

„Als Ärztinnen und Ärzte sind wir zunächst dem individuellen Patienten verpflichtet“, erklären die Delegieren in der Resolution. „Gleichzeitig ist es unser Bestreben, das Leben und die Gesundheit möglichst vieler Menschen zu retten. Deswegen ist es richtig, in einer solchen Situation existenzieller Ressourcenknappheit einen Patienten mit nur noch minimalen kurzfristigen Überlebenschancen zugunsten eines anderen mit deutlich besseren Chancen vom Beatmungsgerät zu trennen. Nicht nur Handeln, sondern auch Unterlassen kann die Menschenwürde und das Recht auf Leben verletzen. Ärztinnen und Ärzte befinden sich im Fall einer pandemiebedingten Triage in einer extremen und zeitkritischen Entscheidungssituation“, heißt es in der Erklärung der Delegierten.

Der Begriff der Triage stammt aus der Militärmedizin und bedeutet „Auswahl“ oder „Sortierung“. Dieses Vorgehen wird in der Katastrophenmedizin eingesetzt. Es sind vier Sichtungskategorien festgelegt, deren Ziel es ist, die medizinischen Ressourcen schnellstmöglich denen zur Verfügung zu stellen, die diese am dringlichsten brauchen, folglich nicht denen, die keine Überlebenschancen haben oder deren Verletzungen nicht dringlich sind.

Bei der Ex-post-Triage können auch diejenigen Patienten in eine Entscheidung bei der Zuteilung von knappen Mitteln einbezogen werden, denen Ressource wie z.B. Beatmungsgeräte bereits zugeteilt wurde. Die Ex-post-Triage kann daher den Entzug einer bereits zugeteilten Ressource bedeuten.

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