Medizinische Kompressionsstrümpfe, orthopädische Schuheinlagen, Bandagen und Orthesen haben den Praxistest der Bevölkerung in Deutschland eindrucksvoll bestanden. Als wirkungsvolle und etablierte Therapie leisten sie einen erheblichen Beitrag für mehr Lebensqualität im Alltag der Patientinnen und Patienten. Doch stimmen die Rahmenbedingungen für eine Hilfsmittelversorgung, die auf Qualität und Innovation setzt? Das war Gegenstand des politischen Dialogs, den eurocom am 8. November in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft Berlin für Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Sozialversicherung, Ärzteschaft, Industrie und Handwerk veranstaltete. Auf dem Podium diskutierte eurocom-Geschäftsführerin Oda Hagemeier mit Mitgliedern des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages die Weichen, die aus Sicht der Herstellervereinigung in Politik und Sozialversicherung gestellt werden müssen.

„Die politische Vielfalt der heute hier versammelten Personen freut mich außerordentlich“, begrüßte eurocom-Vorsitzender Jürgen Gold die Gäste, allen voran die Podiumsteilnehmenden Prof. Dr. Edgar Franke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Gesundheit, Impulsgeber Michael Sommer vom Institut für Demoskopie Allensbach sowie als Diskutantinnen Simone Borchardt (CDU/CSU), Linda Heitmann (Bündnis 90/Die Grünen), Kristine Lütke (FDP) und Martina Stamm-Fibich (SPD). „Denn“, so Gold, „sie zeigt den übergreifend wahrgenommenen hohen Stellenwert, den medizinische Hilfsmittel für einen Großteil der Bevölkerung in Deutschland haben. Hilfsmittel – dieses an sich spröde Wort – bedeutet doch für viele Menschen die Ermöglichung von Teilhabe. Wie wir eine qualitativ hochwertige Hilfsmittelversorgung zum Wohle der Patientinnen und Patienten sicherstellen können, darüber müssen wir sprechen.“

Dass genau dies die eurocom auszeichnet – der unermüdliche Einsatz für eine Patientenversorgung mit qualitativ hochwertigen Hilfsmitteln und der dafür notwendigen Rahmenbedingungen – hebt Prof. Dr. Edgar Franke in seinem Grußwort hervor: „Ich gratuliere der eurocom mit ihren 40 Mitgliedern herzlich zu ihrem 25-jährigen Bestehen. Die eurocom ist bekannt für ihre hervorragende Verbandsarbeit im wichtigen Hilfsmittelbereich. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was Hilfsmittel leisten, indem sie Menschen zu mehr Mobilität und Lebensqualität verhelfen. Wir müssen den Standort Deutschland für die mittelständischen Hilfsmittelbetriebe stärken, insbesondere vor dem Hintergrund der Auswirkungen von Krise und Krieg.“

Patienten gewinnen an Lebensqualität und wollen Qualitätsprodukte

Zum Hintergrund: Wie sehr und auf welche Weise profitieren Menschen mit unterschiedlichen Beschwerden von medizinischen Hilfsmitteln und was folgt daraus? Das wollte eurocom wissen und beauftragte das Institut für Demoskopie Allensbach nach 2014 und 2019 in 2023 erneut mit einer repräsentativen Umfrage, um die positiven Ergebnisse der Vorjahre auf den Prüfstand zu stellen. Insgesamt wurden 1.274 Menschen, die medizinische Hilfsmittel nutzen, befragt. Fazit: Sie benötigen nach eigenen Angaben weniger Medikamente, können operative Eingriffe oft vermeiden, sind mobiler und gewinnen dadurch an Lebensqualität. Mit anderen Worten: Medizinische Hilfsmittel haben eine hohe Relevanz – sowohl für den einzelnen Betroffenen als auch für das gesamte Gesundheitssystem. Millionen von Menschen sind hierzulande auf medizinische Hilfsmittel angewiesen, denn Erkrankungen des Bewegungsapparates und Venenerkrankungen, an denen sie leiden, zählen zu den Volkskrankheiten. Aktuell tragen in Deutschland rund 6,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger ab 16 Jahren Bandagen und Orthesen. 5,9 Millionen Menschen nutzen Kompressionsstrümpfe, und 12,1 Millionen Menschen tragen orthopädische Schuheinlagen. Und das bei großer Therapietreue und ausgeprägtem Qualitätsbewusstsein. Die meisten Patientinnen und Patienten tragen ihr Hilfsmittel zwischen neun und zwölf Stunden täglich, erwarten eine hohe Produkt- und Versorgungsqualität und legen hohen Wert auf Auswahl. Dabei bevorzugt die Mehrheit höherwertige Modelle und beurteilt das Preis-Leistungsverhältnis bei einer eigenen Investition als angemessen. Bezugsquelle Nummer Eins ist der Fachhandel, von dem eine qualifizierte Beratung erwartet wird. Michael Sommer vom Allensbach-Institut und Projektleiter der Befragung erklärt: „Das ist die Quintessenz der Umfrageergebnisse: Eine überwältigende Mehrheit, nämlich rund 80 Prozent und zwar über alle Patientengruppen hinweg, sagt, den Alltag wieder besser bewältigen zu können und Lebensqualität zurückgewonnen zu haben. Mehr kann man von einem Hilfsmittel nicht erwarten. Und dieser Eindruck hat sich erneut verstärkt.“

Innovationen müssen Patientinnen und  Patienten schneller erreichen

Der hohe Zufriedenheitsgrad der Hilfsmittelnutzer und ihr Plädoyer für gute Qualität bestätigt den Kurs, den der Gesetzgeber bereits 2017 mit dem Heil- und Hilfsmittel-Versorgungsgesetz (HHVG) eingeschlagen hat und der beispielsweise in der Verpflichtung des GKV-Spitzenverbandes zur regelmäßigen Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses Ausdruck findet. Das Ziel: Mit kontinuierlicher Weiterentwicklung der Produktgruppen und klaren Kriterien zur Aufnahme neuartiger Produkte sicherzustellen, dass Versicherte sich auf eine Hilfsmittelversorgung verlassenen können, die der individuellen Therapiesituation entspricht und state of the art ist. Oda Hagemeier betont: „Dieser Aspekt ist aufgrund der steuernden Funktion des Verzeichnisses von großer Bedeutung. Deshalb waren wir froh, dass unserem Vorschlag gefolgt und mit der Etablierung eines obligatorischen Beratungsgesprächs zwischen Antragsteller und dem GKV-Spitzenverband der formale Rahmen für mehr Transparenz und beschleunigte Prozesse geschaffen wurde. Aber: Hier muss dringend nachgebessert werden, denn der Anspruch auf Beratung ist zwar formell gesetzt, lässt aber in der Umsetzung Klarheit zu den konkreten Nachweispflichten vermissen. Deshalb fordern wir eine Beweislastumkehr zum zusätzlichen Nachweis des medizinischen Nutzens.“ Die Gefahr: Innovative Hilfsmittel, die ihre Leistungsfähigkeit bereits im Rahmen der europäischen Medical Device Regulation nachgewiesen haben, werden ausgebremst und der Versorgung entzogen. Darüber besteht Einigkeit. Martina Stamm-Fibich dazu: „Es muss Verbindlichkeit geben. Wenn Hilfsmittel die MDR-Zertifizierung durchlaufen haben, muss klar sein, was wir noch an Nachweisen brauchen – und warum. Die Parameter müssen klar und verlässlich sein.“ Simone Borchardt leitet daraus einen politischen Auftrag ab: Die bedarfsgerechte Versorgung der Patientinnen und Patienten mit innovativen Hilfsmitteln, die dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnis und des technischen Fortschrittes entsprechen, ist uns ein wichtiges Anliegen. Bezogen auf bereits CE-gekennzeichnete Hilfsmittel heißt das: Wir brauchen keine zusätzliche Zertifizierung der Zertifizierung. Ist der Nutzen nachgewiesen, müssen Neuerungen – und sei es als Pilot – schneller ins Hilfsmittelverzeichnis und damit in den Markt kommen. Dafür müssen wir Regularien schaffen.“ Linda Heitmann ergänzt mit Blick auf die anstehenden Gesetzesvorhaben: „Es muss gelingen, dass Menschen, die Hilfsmittel dringend benötigen, diese auch zügig bekommen. Darum müssen wir den Bürokratieabbau auch in den anstehenden Versorgungsgesetzen angehen.“

Qualität, Wahl- und Therapiefreiheit schützen

Die Messlatte der Versicherten an die Qualität der Hilfsmittel ist hoch, ebenso ihre Bereitschaft, in die für ihre individuelle Therapiesituation bestmögliche Versorgung zu investieren. Oda Hagemeier folgert: „Wir brauchen eine Hilfsmittelentwicklung und -versorgung, die im Sinne der Patientinnen und Patienten konsequent auf Qualität und Wahlfreiheit setzt. Die Einführung der Mehrkostenregelung hat sich dabei als sinnvolles Instrument bewährt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Versicherte können freiwillig ein hochwertiges, teureres Produkt wählen, das ihren persönlichen Ansprüchen besser gerecht wird und somit die Therapietreue erhöht, ohne dass die Krankenkassen dafür aufkommen müssen und die Solidargemeinschaft belastet wird.“ Regelversorgung und höherwertige Versorgung bestehen nebeneinander. Zwischen ihnen können sich Patientinnen und Patienten mündig entscheiden, ohne dass ihnen die Angabe persönlicher Beweggründe aufgebürdet und ihre Wahlfreiheit eingeschränkt wird. Das soll auch so bleiben. Kristine Lütke dazu: „Klar ist, allen Versicherten muss eine gute Versorgung mit Hilfsmitteln zur Verfügung stehen. Darüber hinaus kann den Versicherten das Angebot einer höherwertigen Versorgung über Mehrkostenvereinbarungen gemacht werden. Hier gilt es möglichst wenig bürokratische Regelungen zu treffen."

Analog zur Wahlfreiheit der Patientinnen und Patienten gilt es außerdem, die Therapiefreiheit der Verordnenden zu schützen. Gerade vor dem Hintergrund eines oft langatmigen Aufnahmeprozederes neuartiger Produkte ins Hilfsmittelverzeichnis sollte die Konzipierung des E-Rezeptes ein Freitextfeld für Hilfsmittel einführen, die wie bislang schon auf Papier die Verordnung von noch nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelisteten Produkten ermöglicht. Das sieht auch Martina Stamm-Fibich: „Eine der größten Herausforderungen sehe ich im Bereich der Digitalisierung. Sie muss die Versorgungsvielfalt einerseits sowie die Therapiehoheit der verordnenden Ärztin oder des verordnenden Arztes andererseits sicherstellen. Darauf müssen wir den Fokus legen, wenn wir die Digitalisierungsgesetze angehen.“

Das klare Qualitätsbekenntnis der Bevölkerung führt auch zu dieser Erkenntnis: Die Branche muss dem Anspruch der Patientinnen und Patienten auf qualitativ hochwertige Hilfsmittel und auf eine fachlich qualifizierte Beratung auch gerecht werden können. Keine leicht zu erfüllende Aufgabe angesichts fehlender Fachkräfte. Lütke betont: „Jetzt müssen wir die Weichen stellen, um die flächendeckende Versorgung zu erhalten und die Standortfaktoren zu verbessern. Vor allem müssen wir den Fachkräftemangel angehen – diesen zu bewältigen ist eine große Herausforderung.“

Insgesamt und mit Blick in die Zukunft legt der hohe Nutzen medizinischer Hilfsmittel einen übergreifenden Denkansatz nahe, den Simone Borchardt anregt: „Wir müssen den Hilfsmittelmarkt besser verstehen und ihn ganzheitlich betrachten – auch im Hinblick auf seine Kosten. Der präventive Einsatz von Hilfsmitteln führt zu einer Kostenersparnis etwa im Bereich der stationären Pflege, die vermieden oder hinausgezögert werden kann.“

Über eurocom e.V. – European Manufacturers Federation for Compression Therapy and Orthopaedic Devices

eurocom ist die Herstellervereinigung für Kompressionstherapie, orthopädische Hilfsmittel und digitale Gesundheitsanwendungen. Der Verband versteht sich als Gestalter und Dialogpartner auf dem Gesundheitsmarkt und setzt sich dafür ein, das Wissen um den medizinischen Nutzen, die Wirksamkeit und die Kosteneffizienz von Kompressionstherapie und orthopädischen Hilfsmitteln zu verbreiten. Zudem entwickelt eurocom Konzepte, wie sich die Hilfsmittelversorgung aktuell und in Zukunft sicherstellen lässt. Dem Verband gehören nahezu alle im deutschen Markt operierenden europäischen Unternehmen aus den Bereichen Kompressionstherapie und orthopädische Hilfsmittel an.

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