Die Vermittlung informatischer Kompetenzen gewinnt mehr und mehr an Bedeutung in unserer zunehmend digitalisierten Welt. Das Angebot insbesondere in den Grundschulen ist jedoch überschaubar. An diesem Bedarf möchten Saskia Schreiter und Jens Dennhard von der Pädagogischen Hochschule (PH) Heidelberg mit ihrem Projekt „Coden im Mathematikunterricht – Mathematik Informatik Transfer“ (CoM-MIT) ansetzen. Ihr Ziel ist es, eine einfach anzuwendende, fächerverbindende Lernumgebung zu entwickeln, die Programmieren in den Mathematikunterricht integriert.

Um das zu erreichen, wechseln sie schrittweise zwischen kurzen Entwicklungs- und Praxisphasen, in denen die Lernumgebung erprobt wird. Erste Tests deuten bereits das große Potenzial an, Kindern der Klassenstufen 3 bis 6 mathematische sowie informatische Kenntnisse gemeinsam zu vermitteln und sie obendrein für das Programmieren zu begeistern. Das Projekt wird von der Klaus Tschira Stiftung (KTS) über drei Jahre gefördert und läuft seit April dieses Jahres.

Trotz seiner Relevanz gibt es kein verpflichtendes Fach für Informatik an Grundschulen und der unteren Sekundarstufe – und das nicht nur in Baden-Württemberg. Vielmehr sind informatische Kompetenzen über alle Fächer hinweg zu unterrichten. Besonders die Mathematik bietet sich aufgrund der Schnittstellen zur Informatik an. So sehen es auch die aktuellen Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz vor: Hier sind im Fach Mathematik erstmals informatische Kompetenzen aufgeführt. An diesem Punkt kommt CoM-MIT ins Spiel: „Wir wollen für die Vermittlung informatischer Kompetenzen im Mathematikunterricht einen konkreten Umsetzungsvorschlag entwickeln und anschließend dessen Wirksamkeit systematisch erforschen“, erklärt Saskia Schreiter. Dafür wollen sie fächerverbindende Lernumgebungen für die Klassenstufen 3 bis 6 entwickeln.

Bei der Umsetzung können die beiden Postdocs auf ihre langjährige Erfahrung im Studien- und Schulbetrieb setzen. Saskia Schreiter ist aktuell als abgeordnete Lehrerin am Institut für Mathematik und Informatik der PH Heidelberg tätig. Jens Dennhard arbeitet dort als Akademischer Rat und ist für die Ausbildung angehender Lehrkräfte in Praxis und Theorie verantwortlich. „Die Idee existiert bereits seit den 1980er Jahren. Was sich geändert hat sind die Rahmenbedingungen“, sagt Jens Dennhard. Neben den curricularen Vorgaben haben sich auch die technischen Möglichkeiten weiterentwickelt. „Wichtig ist, dass die Lernumgebung leicht im Unterricht einsetzbar ist. Der Lehrkraft wollen wir möglichst viele Hürden nehmen“, sagt Saskia Schreiter.

Wie genau das ablaufen soll, zeigt ein Video: Zu sehen ist die Oberfläche der digitalen Lernumgebung. Ein paar Programmierblöcke sind in der Mitte des Bildschirms verschachtelt. Rechts daneben steht ein Bild eines Mikrocontrollers mit Leuchtdioden. „4, 8, 12, …“ ist ein Kind beim Zählen zu hören. Auf dem Bildschirm wird ein Button zum Start einer Simulation betätigt, woraufhin die Leuchtdioden verschiedene Zahlen anzeigen. Die falschen Zahlen anscheinend, denn ein zweites Kind schaltet sich ein und diskutiert aufgeregt mit seinem Mitschüler. Sie einigen sich darauf, den Eintrag eines Programmierblocks zu ändern und starten anschließend erneut die Simulation. Wieder bilden die Leuchtdioden verschiedene Zahlen ab. Die Kinder sind zufrieden.

Was in dem Video dargestellt wird, stammt aus einem Praxistest. Während die Schülerinnen und Schüler Aufgaben am Tablet bearbeiten, werden ihre Stimmen sowie das Bildschirmgeschehen aufgezeichnet. Thematisch geht es um arithmetische Muster. Nachdem sich die Kinder analog auf dem Papier mit den Aufgaben befasst haben, gelangen sie über einen QR-Code in die digitale Lernumgebung. Hier implementieren sie ihre Überlegungen und testen sie über eine Simulation aus. „Es geht ums Problemlösen, um Kreativität und ums Erkennen und Verallgemeinern von Mustern und Strukturen“, fasst Jens Dennhard die Lerninhalte zusammen.

Anhand der Aufnahmen können verschiedenste Fragen beantwortet werden. Was gelingt gut? Wo wird mathematisch argumentiert? Wo braucht es zusätzliche Unterstützung? „Am Anfang hatten wir noch keine Vorstellung davon, wie gut es den Grundschülern gelingen wird, mit der digitalen Lernumgebung klarzukommen“, erzählt Saskia Schreiter. „Hier wurden wir sehr positiv überrascht!“ Der Umgang mit den Tablets stellte keine Schwierigkeit für die Kinder dar. Vieles konnten sie sich intuitiv erschließen. Das deutet an, welches Potenzial der fächerverbindende Lehransatz auch für den Aufbau mathematischer Kompetenzen birgt.

Das Projekt ist in zwei Phasen von je anderthalb Jahren Dauer gegliedert: die Entwicklung der Lernumgebung und die experimentelle Überprüfung der Wirksamkeit. „Für die erste Phase entwickeln wir gar nicht lange. Wir haben eine erste Theorie, was die Didaktik angeht, erstellen einen ersten Prototyp und erproben diesen direkt in den Schulen“, erklärt Saskia Schreiter.

Gerade weil noch nicht viel Forschung in diesem Gebiet betrieben wurde, sei es wichtig, sofort in die Praxis zu gehen. Basierend auf den Ergebnissen aus den Praxistests wird die Lernumgebung weiterentwickelt, woraufhin sie erneut erprobt werden kann. In der ersten Entwicklungsschleife konnten bereits 13 Schulen die Lernumgebung testen, wodurch erste technische und inhaltliche Probleme bereits identifiziert und gelöst werden konnten. Zu den Schulen wird leicht Kontakt über im Projekt eingebundene Studierende aufgebaut, die als Teil ihres Studiums dort Praktika absolviert haben. Das Ergebnis soll letztlich eine einfach im Unterricht anzuwendende und einsatzerprobte Lernumgebung sein, inklusive unterstützender Handreichungen für Lehrende.

In der zweiten Phase wird über eine Feldstudie die Wirksamkeit erforscht. Die Hypothese: Das Konzept führt zu signifikanten fachlichen Verbesserungen in der Informatik und erhöht die programmierbezogene Lernmotivation. Hinsichtlich der Mathematik erwarten die Projektverantwortlichen mindestens gleich gute oder ebenfalls bessere Ergebnisse.

Die bisherige Lernumgebung wurde auch an der Hochschule erprobt. In einem Seminar lernten Studierende sie kennen, um nachfolgend eine kleine Lehreinheit vorzubereiten und bei anderen Studierenden zu unterrichten. Diejenigen, die die Schülerrolle einnahmen, wurden vor und nach der Lehreinheit befragt. Nicht wenige waren skeptisch gegenüber Programmieren, auch weil sie schlechte Vorerfahrungen aus der eigenen Schulzeit mitbrachten. Nachdem sie die Lehreinheit hinter sich hatten, änderte sich ihre Einstellung jedoch maßgeblich. Sie konnten sich sogar vorstellen, das Konzept selbst anzuwenden. „Die Studierenden merken, wie unkompliziert die Lernumgebung ist. Und mithilfe der Mathematik – es sind schließlich angehende Mathematiklehrkräfte – können sie sich vieles erklären. Diese Symbiose ist unheimlich spannend. Im Rahmen des Projekts wollen wir sie näher erforschen“, sagt Jens Dennhard.

Auf verschiedenen Tagungen stellten die Projektverantwortlichen ihre Idee bereits vor und stießen dabei auf große Resonanz. „Wir waren überrascht, wieviel Interesse uns in der Forschungscommunity begegnete.“ Es besteht nicht nur Interesse, sondern auch Bedarf, den die beiden Forschenden jetzt addressieren. CoM-MIT bietet die Möglichkeit, innovative Lösungen für eine zeitgerechte Bildung zu entwickeln.

Über Klaus Tschira Stiftung gGmbH

Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Sie wurde 1995 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940–2015) mit privaten Mitteln ins Leben gerufen. Ihre drei Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein. Weitere Informationen unter: www.klaus-tschira-stiftung.de.

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