Weltweit gibt es 36 Millionen erblindete und 124 Millionen sehbehinderte Menschen. Alleine in Deutschland leben 160.000 erblindete Menschen, von denen nur 1,5 Prozent einen Blindenführhund besitzen. „Muss eine blinde Person nun mit einem ‚normalen‘ Blindenstock navigieren, gibt es viele schwierige Situationen – beispielsweise Zebrasteifen. Die kann man ja schlecht ertasten“, erklärt Thomas Bayer. Mit welchen Problemen blinde Menschen zu kämpfen haben, hat er in seinem Umfeld erlebt. „Mein Bruder hatte eine sehbehinderte Klassenkameradin. In den Schulpausen ist sie oft im Klassenzimmer geblieben, weil es ihr draußen zu chaotisch war“, erzählt der junge Mann, der gerade sein Abitur an der Technischen Schule Aalen macht. Da muss man doch irgendeine Lösung finden, dachte sich Bayer damals – und fing an zu tüfteln. Die Idee: einen Blindenstock mit Künstlicher Intelligenz ausstatten.
Viele Tage und Nächte saß Bayer trotz Abi-Vorbereitungsstress an seinem „blindGuide“. Seine Erfindung ermöglicht es blinden und sehbehinderten Menschen, komplexe Situationen zuverlässig zu erfassen. Der Blindenstock wird sozusagen zum „Blindenhund“, der für die blinde Person sieht und beispielsweise Wege, Treppen, Türen, Zebrastreifen oder Menschenmengen erkennt. Das funktioniert mit über 200 Kamerabildern pro Sekunde, die das Gerät aufnimmt, mittels Künstlicher Intelligenz analysiert und in Echtzeit auswertet. Um die Künstliche Intelligenz mit den notwendigen Informationen „zu füttern“, hat der Abiturient rund zwei Millionen Fotos unter anderem von Straßen, Mauern, Toren, Ampeln und Zebrastreifen gemacht.
Gegenüber anderen elektronischen Blindenstöcken hebt sich der „blindGuide“ ab, da er nicht auf Ultraschall basiert, um eine Entfernung zu einem möglichen Hindernis aufzuzeigen. Hierbei weiß die blinde Person nicht, welche Art Hindernis es ist und wohin sie ausweichen soll. Mit „blindGuide“ wird optisch erkannt, was ein Hindernis darstellt. „Mit Hilfe einer haptischen Richtungsanzeige kann die Person dann um Hindernisse herumgeleitet werden. Außerdem wird sie auch per Vibration oder Sprache darüber informiert, ob beispielsweise ein Zebrasteifen vorhanden oder wie der Fußweg beschaffen ist“, erläutert Bayer. Die Jury des Artur Fischer Erfinderpreises, gestiftet von Artur Fischer und der Baden-Württemberg Stiftung, würdigte jetzt diese besondere Innovation mit dem zweiten Preis im Bereich der Weiterführenden Schulen. „Tüftlerinnen und Erfinder waren schon immer die eigentlichen Helden der baden-württembergischen Landesgeschichte. In gegenwärtigen Zeiten des Umbruchs aber zählen Kreativität und der Mut zu neuem Denken mehr denn je“, sagte Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut bei der gestrigen Ehrung, die coronabedingt im kleinen Kreis in Waldachtal am Sitz der Unternehmensgruppe fischer stattfand. Der Artur Fischer Erfinderpreis motiviere die Cleveren in allen Altersklassen – von der Schülerin bis zum Rentner – und fördere so die Innovationskultur im Land. „Die Preisträgerinnen und Preisträger sind Inspiration und Ansporn für uns alle“, so die Ministerin.
Für Bayer ist die Auszeichnung auch ein Ansporn, seinen „blindGuide“ – der übrigens bereits zum Patent angemeldet ist – weiterzuentwickeln. „Mein Traum ist die Serienproduktion.“ Jetzt möchte er erstmal weitere Trainingsdaten aus anderen Städten sammeln. „Bislang sind die Daten ja nur aus Aalen.“ Außerdem möchte der junge Erfinder die Platine verkleinern, um Gewicht einzusparen und das Gehäuse für die ganze Elektronik wetterfest machen.
Erfolgreich bei der Verleihung des Artur Fischer Erfinderpreises war auch Prof. Dr. Günter Dittmar. Der emeritierte Professor, der an der Hochschule Aalen im Studiengang Optoelektronik gelehrt hat, hat den mit 10.000 Euro dotierten Hauptpreis gewonnen. Die Jury ehrt damit sein Schutzverfahren vor Röntgenstrahlung beim Arbeiten mit Ultrakurzpulslasern. Die zum Patent angemeldeten Verfahren und Konstruktionen ermöglichen es, die als lästig bewertete Röntgenstrahlung bei Laserprozessen zur intelligenten Prozessteuerung zu nutzen und gleichzeitig die Lasermaschinen zu überwachen, sodass Gefährdungen ausgeschlossen werden.
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